nt 01 | 2022 Flexibilisierung industrieller Energiesysteme
Ammoniumentfernung und -rückgewinnung in Kläranlagen – Erfahrungen einer Pilotstudie
Abwasserkläranlagen besitzen großes Potential, zukünftig als Drehschreibe der Energie- und Ressourcenversorgung zu fungieren. Während derzeit Abwasserreinigungsanlagen oft Energie verbrauchen, ermöglichen es neue intelligente Konzepte, einen Wandel der Anlagen zu Energielieferanten zu vollziehen.
Foto: AWV Gleisdorfer Becken / Schrotter
Einer der energieintensivsten Prozesse in Kläranlagen ist die Stickstoffentfernung im Nitrifikations/Denitrifikationsprozess (N/DN), mit spezifischen elektrischen Energiebedarfswerten von 5 bis 15 kWh/kg TN (Total Nitrogen) [1]. Ein Blick auf die globalen Daten zeigt den weltweit ineffizienten Umgang mit Ammoniak – nur 16 Prozent der jährlich erzeugten Stickstoffdünger werden genutzt, der Rest geht in Gewässern und Atmosphäre verloren, wobei die Stickstoffsynthese über den Haber-Bosch Prozess 1-2 Prozent des jährlichen globalen Energieverbrauchs benötigt[2].
Studie zur selektiven Ammoniumentfernung
Um die Energie- und Ressourceneffizienz in Kläranlagen zu verbessern, wurde im Rahmen der Projekte „Thermaflex“ und „IEA IETS Annex 17“ eine Studie zur selektiven Ammoniumentfernung aus Kläranlagen mittels Membrandestillation durchgeführt. Das Ziel ist die Reduktion des Energiebedarfs von Kläranlagen durch Reduktion des Strombedarfs im N/DN-Prozess und die Produktion von Ammoniumsulfat für regionale Düngeanwendungen als Nebenprodukt.
Die Membrandestillation ermöglicht eine sehr reine Abtrennung von Ammoniak aus Abwässern. Durch die geringere Stickstoffbelastung profitiert in Folge auch die Effizienz von Biogasanlagen.
Das im Wasser gebundene Ammonium wird durch die Erhöhung des pH-Wertes in die Form von frei vorliegendem Ammoniak gebracht, das über die Membran diffundiert. Auf der Permeatseite wird das Ammoniak als Ammoniumsulfat gebunden. Während der traditionelle Stickstoffabbau in der Kläranlage Strom benötigt und den Stickstoff als N2 in die Atmosphäre abgibt, kann die Membrandestillation bei sehr geringen Temperaturen von 30 bis 40 °C betrieben werden und ermöglicht eine Schließung des Stickstoffkreislaufes.
Pilotbetrieb
Im Dezember 2020 wurde eine Pilotanlage an der Abwasserreinigungsanlage Gleisdorf als Containeranlage installiert, um das Zentratwasser nach Abtrennung des Klärschlamms mittels Membrandestillation zu behandeln. In Österreich ist dies die erste Pilotanlage zur Evaluierung der Ammoniumentfernung im Langzeitbetrieb. Um optimale Betriebsbedingungen festzulegen, wurden die Betriebsparameter in Laboruntersuchungen evaluiert und in der Pilotanlage umgesetzt. In der ersten Pilotphase wurden jeweils 100 Liter Zentratwasser im Batch-Betrieb behandelt. Später wurde die Anlage weiter automatisiert, um einen 24-Stunden-Betrieb zu ermöglichen und damit Langzeiterfahrungen sammeln zu können.
Die Pilotanlage ist relativ einfach ausgestattet. Sie besitzt zwei Hauptkreise (Feed- und Permeat) mit den diesbezüglichen Temperatur-, Durchfluss- und Drucksensoren sowie eine pH-Regelung. Die Kreise werden bei Normaldruck betrieben, die Zudosierung der Chemikalien (Natronlauge und Schwefelsäure) erfolgt automatisiert. Die geringen Temperaturen (max. 40 °C), Drücke und pH- Werte zwischen 2,5 und 9 erlauben einen sicheren und robusten Betrieb. Die Membranfläche des Membrandestillationsmoduls umfasst 14 m².
Betriebserfahrungen und Ergebnisse
Die Laboruntersuchungen zeigten einen optimalen Betrieb bei einem Feed-seitigen pH-Wert von 9,7 und einer Betriebstemperatur von 38 °C. Mit diesen Bedingungen konnte das Ziel einer Ammoniumrückgewinnung von größer 90 Prozent in der Pilotanlage für die Behandlung von 100 Litern Feed mit einer durchschnittlichen Ammoniumentfernung von 96 Prozent nach 2 Stunden erreicht werden. Die Ammoniumkonzentration des behandelten Zentratwassers lag unter 10 mg/l Ammonium-Stickstoff. Im Vergleich zu Standardbedingungen konnte der die Ammoniakdiffusion begleitende Wasserdampfdurchgang durch die Membran um 94 Prozent reduziert und damit eine weit selektivere Abscheidung von Ammonium als bisher möglich gezeigt werden. Dadurch können hohe Produktkonzentrationen erreicht und der Energiebedarf, der über Abwärme bereitgestellt werden kann, auf 12 kWh/kg entferntem Ammonium (NH4) gesenkt werden.
In der zweiten Pilotphase konnte eine Optimierung in Hinblick auf einen geringeren Bedarf an Natronlauge durchgeführt und der Langzeit-Betrieb bei reduziertem pH-Wert des Feed von pH 8,7 demonstriert werden. In dieser Phase wurde die Pilotanlage umgebaut, mit weiterer automatisierter Regelung ausgestattet und konnte durchlaufend 24 Stunden täglich betrieben werden, wobei ca. 1 m³ Feed-Wasser pro Tag behandelt wurde. Das Feed-Wasser wurde jeweils in 100 Liter-Batches bis zur fast vollständigen AmmoniumEntfernung über die Membrandestillation geführt. Das Permeat wurde nicht ausgetauscht und so die Konzentration laufend erhöht. Die Ergebnisse zeigen, dass der Betrieb über mehrere Wochen bei pH 8,7 eine Ammoniumentfernung von über 90 Prozent erreichen und die Ammonium-Konzentration auf kleiner 20 mg/l gesenkt werden konnte. Das Permeat erreichte in dieser Pilotphase eine Ammoniumsulfatkonzentration von ca. 23 g/l, entsprechend einer Stickstoffkonzentration (Ammonium-Stickstoff N-NH4) von 5 g/l (siehe Abbildung). Diese Konzentration pendelte sich als stabile Produktkonzentration ein. Maßnahmen, diese noch weiter zu steigern, wurden mittlerweile in Laboruntersuchungen umgesetzt. Der Energiebedarf lag in der zweiten Pilotphase bei 16 kWhth/kg NH4, wobei in diesem Betrieb nur die Feedseite auf 38 °C erwärmt werden muss, bzw. in einem integrierten Betrieb die Wärme des Zentratwassers nach der Schlammentfernung durch eine Zentrifuge zum Teil direkt genutzt werden kann.
Die Stickstoffkonzentration des Permeats pendelte sich bei 5 g/l ein. Quelle: AEE INTEC
Ein entscheidender Punkt der Evaluierung war die Stabilität des Prozesses und die nötige Reinigung. Die Anlage erwies sich als sehr robust und Betriebsprobleme entstanden während der Pilotphase nur in Bezug auf die, derzeit sehr einfach ausgeführte, Vorreinigung, deren Filter immer wieder getauscht werden mussten. Die Membrandestillation lief selbst nach Zwischenabschaltungen konstant weiter. In mehreren Betriebskampagnen wurde über Wochen kein Abfall der Behandlungseffizienz festgestellt, wobei die Anlage nach jeder Kampagne (ca. 5-15 Tage) für 2 Stunden mit Zitronensäure auf der Feedseite gespült wurde. Die Ammoniumentfernung lag beispielsweise in zwei vergleichbaren Behandlungszyklen am 22. September bei > 99 Prozent und nach Säure-Spülung am 6. Oktober ebenfalls bei > 99 Prozent. Aufgrund des sehr gut laufenden Betriebs wurde noch keine Reinigungsoptimierung durchgeführt.
Schlussfolgerungen
Der Betrieb dieser Pilot-Membrandestillationsanlage über einen längeren Zeitraum unter realen Bedingungen und für diese besondere Anwendung ist bisher eine von wenigen Anlagen weltweit. Die Haupthindernisse der Membrandestillation für die Ammoniumentfernung, wie geringe Selektivität und hoher thermischer Energieverbrauch, konnten mit einem innovativen Ansatz in Bezug auf die Betriebsweise überwunden und die Funktionsfähigkeit im Pilotstadium nachgewiesen werden.
Bei sehr niedrigen Betriebstemperaturen in der Pilotanlage (38 °C) zeigte das System die besten Resultate. Das sind optimale Voraussetzungen dafür, Abwasserabwärme, minderwertige Abwärme oder Abwärme kombiniert mit Wärmepumpen zu nutzen. Die Pilotphase zeigte einen stabilen und robusten Anlagenbetrieb, einzig mit der Notwendigkeit, eine geeignete Vorfiltration zu installieren. Der Abwassersektor war bisher nicht mit dem Energie- oder chemischen Sektor verbunden. Abwasser oder Klärschlämme wurden meist behandelt und beseitigt, ohne das spezifische Potenzial einer Kreislauf-Nutzung der darin enthaltenen Nährstoffe und Energie zu berücksichtigen. Abwasserreinigungsanlagen enthalten wiedergewinnbare Wertstoffe, darunter den sehr wertvollen Ammoniak, der in vielfältigen Anwendungsbereichen eingesetzt wird. Außerdem steigt die Nachhaltigkeit und Flexibilität für die Rückgewinnung dieser Wertstoffe durch den Einsatz eines thermischen Verfahrens wie der Membrandestillation. In einer Zukunftsvision können sich Abwasserreinigungsanlagen von ihrem derzeit geringen Ansehen hin zu einer Energie- und Ressourcendrehscheibe entwickeln. Darüber hinaus bringen neue Technologien und Geschäftsmodelle neue Arbeitsplätze und eine neue strategische Ausrichtung der Kreislaufwirtschaft in Österreich. Die Biogas-, Lebensmittel- und Bio-Industrie zeigen großes Interesse, Stickstoff zu entfernen und diesem Stickstoff einen zusätzlichen Wert zu verleihen. Als Anwendungsbereich ist nicht nur die Düngerproduktion möglich, sondern die Geschäftsideen reichen von kombinierter Strom- und Wärmeproduktion bis zur Nutzung des Ammoniumwassers zur Reduktion von Stickoxiden bei Industrieemissionen.
Danksagung
Herzlicher Dank für die gute Kooperation geht an Peter Schiefer und Manfred Leber, sowie das gesamte Team der ARA Gleisdorf, an Robert Gampmayer von der Fa. Rotreat für die technischen Anlagenadaptionen, Wolfgang Heinzl von der TheVap GmbH für die Membrandestillationsmodule, sowie Eva Moritz und Maria Hobisch für die Zusammenarbeit im Rahmen ihrer Diplomarbeiten.
Weiterführende Informationen
[1] Dong Wu et al., 2021. Toward Energy Neutrality in Municipal Wastewater Treatment: A Systematic Analysis of Energy Flow Balance for Different Scenarios, ACS EST Water 2021, 1, 4, 796–807 Publication Date: January 6, 2021. Online unter https://doi.org/10.1021/acsestwater.0c00154
[2] Kyriakou, V., Garagounis, I., Vourros, A., Vasileiou, E., Stoukides, M., 2020. An Electrochemical Haber-Bosch Process. Joule 4, 142–158. Online unter https://doi.org/10.1016/j.joule.2019.10.006
[3] Eva Moritz, 2021. Pilot Scale Study on Ammonia Recovery by Membrane Distillation from a Municipal Wastewater Side-Stream, Master Thesis, University of Technology Graz, 2021.
Autor*innen
Elena Guillen, Ph.D. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dr. Bettina Muster-Slawitsch ist Leiterin der Forschungsgruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!