02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden
Ergebnisse der kommunalen Wärmeplanung für die Stadt Kassel
Wie kann die Wärmeversorgung einer Großstadt ohne Kohle, Heizöl und Erdgas bereitgestellt werden? Welche Energieträger kommen zum Einsatz und wie groß soll der Fernwärmeanteil sein?
Diesen Fragen widmen sich inzwischen viele Städte. Auch die Universität Kassel beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit diesen Fragestellungen. Zudem ist die Verpflichtung zu einer Wärmeleitplanung in Deutschland bereits im bundespolitischen Verfahren und wird noch bis Ende dieses Jahres erwartet.
Vor drei Jahren hat die Stadt Kassel einen Klimaschutzrat eingerichtet. Dieser hat die ambitionierte Aufgabe, Konzepte zu entwickeln, die aufzeigen, wie die Stadt Kassel bis zum Jahr 2030 Klimaneutralität erreichen kann.
Im Folgenden werden einige Ergebnisse der Untersuchungen vorgestellt, die im Rahmen einer Fachgruppe des Klimaschutzrates erarbeitet und auch vom Klimaschutzrat beschlossen wurde.
Status quo der Wärmeversorgung
Die Ausgangslage in Kassel, einer Stadt in der Mitte Deutschlands mit rund 200.000 Einwohner*innen, ist recht typisch für deutsche Großstädte: Circa drei Viertel des Gesamtwärmeverbrauchs wird mit fossilen Energieträgern in Einzelheizungen bereitgestellt, der weit überwiegende Teil davon mit Erdgas. Fernwärme stellt ungefähr 20 Prozent des Gesamtwärmeverbrauchs bereit. Die Wärmeerzeugung in der Fernwärme erfolgt durch Verbrennung von Kohle, Müll, Erdgas, Altholz, Klärschlamm und Heizöl (siehe Abbildung 1, linke Säule). Zur Evaluation von Wärmeverbräuchen wurde ein gebäudescharfer Wärmeatlas entwickelt. Es wurden überwiegend Verbrauchsdaten verwendet, ergänzt um Daten zu den Flurstücken und Gebäuden (ALKIS-Daten), Informationen zu Öltanks, Fernwärme und Erdgastrassen und weitere Informationen wie Baualter und Sanierungszustand der Gebäude.
Ziel der Städtische Werke AG Kassel ist es, zunächst bis 2025 die Kohle vollständig durch Klärschlamm und Altholzverbrennung zu substituieren.
Wärmebedarfsentwicklung
Der Gesamt-Wärmeverbrauch in Kassel wurde in Szenarien auf das Jahr 2030 projiziert. Hierfür wurden unterschiedliche Einflussgrößen berücksichtigt, wie zum Beispiel Wohnflächenentwicklung, Effizienzstandards und -maßnahmen, die Entwicklung der Wertschöpfung und Energieintensität in Industrie und Gewerbe. Eine Analyse dieser Einflussgrößen zeigt, dass die Gebäudesanierungsrate und Sanierungstiefe die wesentlichen Treiber für die Reduktion des Verbrauchs darstellen. Aus den gewählten, ambitionierten Annahmen ergibt sich für das Jahr 2030 eine Wärmebedarfsreduktion von rund 17 Prozent gegenüber dem Referenzwert.
Wärmebereitstellungspotenziale
Das durch die Städtischen Werke Kassel ermittelte Potenzial zur Nutzung von Müll, Reststoff und Klärschlamm in der Fernwärmeversorgung entspricht ca. 27 Prozent des projizierten Kasseler Wärmebedarfs 2030. Damit ließe sich die derzeitige zentrale Kohle-, Heizöl- und Erdgasverbrennung vollständig substituieren und die Fernwärmeversorgung trotz des Wärmeverbrauchsrückgangs sogar noch etwas ausbauen. Durch den Abgleich von geeigneten Wärmenetzgebieten und Wärmebereitstellungspotenzialen wurde für 2030 ein geeigneter Fernwärme- und Nahwärmeanteil ermittelt (siehe Tabelle). Die Trassenlänge des Fernwärmesystems wird nach dem Szenario gegenüber dem Status quo ungefähr verdreifacht.
Tabelle zu Wärmebereitstellung
Für die Fernwärmebereitstellung nehmen Flusswasser- und Abwasser-Wärmepumpen eine große Rolle ein. Ein geringerer Fernwärmeanteil entfällt auf Abwärmenutzung aus Industrie und Gewerbe, großflächige Solarthermieanlagen sowie Spitzenlastabdeckung zum Beispiel durch Biogas (siehe Abbildung 1, rechte Säule).
Für die dezentrale, gebäudeindividuelle Wärmeversorgung und für Nahwärmeversorgungssysteme wurden Potenziale zur Installation von Erdsonden betrachtet und die Anzahl nötiger Wärmepumpen und deren Stromverbrauch abgeschätzt.
Szenario: 48 % Fernwärme, 12 % Nahwärme
In Abbildung 2 ist die saisonale Verteilung des Wärmeverbrauchs-Szenarios für 2030 dargestellt. Der Wärmebedarf wurde durch ein synthetisches Standardlastprofil auf Stundenbasis modelliert und basiert auf einem durchschnittlichen Außentemperaturprofil für den Standort Kassel. Wegen des abnehmenden Raumheizungsbedarfs wurde zusätzlich berücksichtigt, dass der Wärmeverbrauch im Winter stärker absinkt als im Sommer. Das Lastprofil enthält Anteile für die dezentrale (grau), Nahwärme- (hellgrau) und die zentrale (farbig) Versorgung.
Für die Heizkraftwerke wurden im Jahresverlauf konstante thermische und elektrische Wirkungsgrade angenommen. Die Groß-Wärmepumpen wurden ebenfalls auf Stundenbasis mit temperaturabhängigen Arbeitszahlen abgebildet. Die Wärmeeinspeisung in Speicher und Wärmenetz folgt festen Prioritäten.
Saisonaler Wärmespeicher
Aufgrund hoher sommerlicher Wärmeüberschüsse insbesondere aus der Müll- und Klärschlammverbrennung ist neben dem erheblichen Ausbau des Fernwärmenetzes die Bereitstellung ausreichender saisonaler Speicherkapazitäten erforderlich. Die Wärmeeinspeisung in das Wärmenetz und die Be- und Entladung eines mit Wasser gefüllter Erdbeckenspeichers wurden mit vereinfachten pythonbasierten Energiebilanzmodellen berechnet.
Bei den gewählten Randbedingungen ergibt sich dafür ein notwendiges Speichervolumen von ca. 810.000 m³. Die Speichergröße hängt jedoch stark von den gewählten Parametern ab, wie zum Beispiel der Verfügbarkeit eines Energieträgers zur Deckung der Spitzenlast, der notwendigen Altholzbeimischung zur Klärschlammverbrennung und der Berücksichtigung unterschiedlicher sommer- und winterlicher Bedarfsabsenkung. In Abbildung 2 ist der in den Saisonalspeicher geleitete Wärmestrom unterhalb der Nulllinie der y-Achse dargestellt.
Um die Speicherkapazität zu erhöhen, wird eine Wärmepumpe berücksichtigt, die bei Bedarf den unteren Speicherbereich abkühlt und den oberen erwärmt.
Fazit
Die Studie zeigt Wege zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern in der Wärmeversorgung der Stadt Kassel auf. Wesentliche Bausteine der Transformation sind ein erheblicher Ausbau der Fern- und Nahwärmeversorgungssysteme, sowie der Einsatz von saisonalen Wärmespeichern, Großwärmepumpen (durch Nutzung von Klär- & Flusswasser) und von dezentralen Wärmepumpen. Notwenige Ausbauraten wurden evaluiert und eine Grobdimensionierung der Anlagen vorgenommen.
Danksagung
Die Autor*innen bedanken sich für die Zusammenarbeit und Unterstützung durch die Städtische Werke Kassel AG und das Umwelt- und Gartenamt der Stadt Kassel, sowie für die finanzielle Förderung des Forschungsprojekts „Wärmewende Kassel“ durch das Land Hessen, dem Hessischem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (HMWEVW), durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
Autor*innen
Prof. Dr. Ulrike Jordan, M.Sc. Hagen Braas, M.Sc. Tim Vaupel, Dr. Isabelle Best, Dr. Oleg Kusyy, Dr. Janybek Orozaliev, Prof. Dr. Klaus Vajen, Fachgebiet Solar- und Anlagentechnik, Universität Kassel. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!