Kosten und Szenarien - Die Rolle der Solarthermie in der erneuerbaren Wärmeversorgung der Zukunft
Die Frage nach der zukünftigen Rolle der Solarthermie in der Wärmeversorgung von Gebäuden ist der Ausgangspunkt von Analysen zu Kosten und Szenarien, die von einer internationalen Forschungsgruppe in mehrjähriger Arbeit durchgeführt wurden. Mit der zunehmenden politischen Verpflichtung den Wärmesektor zu dekarbonisieren – wie sie zuletzt im Abkommen von Paris 2017 erneuert worden ist – stellt sich die Frage, welchen Beitrag die Solarthermie hierzu leisten kann. Ohne ein Verständnis der systemischen Eigenschaften und der Potenziale anderer erneuerbarer Energieträger und Wandlungstechnologien können die zunehmend wichtigen, auch intersektoralen, Wechselwirkungen nicht bewertet werden.
In einer Studie im Rahmen des IEA SHC Task 52 wurde von der Aalborg Universität das techno-ökonomische Potenzial von Solarwärme für vier europäische Länder (Dänemark, Österreich, Italien und Deutschland) evaluiert [1]. Hierfür wurden die Energiesysteme der Länder unter Berücksichtigung aller Energiesektoren (Wärme/Kälte, Strom, Mobilität) mit der Software EnergyPLAN nachgebildet und gegen das Referenzjahr 2010 kalibriert. Auf Basis von Annahmen zur zukünftigen Bedarfsentwicklung, der Berücksichtigung vorhandener erneuerbarer Energiepotenziale und der möglichen Entwicklung von Investitionskosten für die verschiedenen Technologien wurden stündliche Lastprofile generiert und Systemkosten für diverse mögliche Energiesystemkonstellationen in 2050 ermittelt, mit welchen CO2- Einsparungen bis nahezu 100 % erreicht werden können. Als Input für die Energiesystemmodelle wurden im Rahmen des Task Kostenkurven für unterschiedliche solarthermische Anwendungen sowie für die Sanierung von Gebäuden erstellt und in die Ländermodelle implementiert [2].
Kostenkurven für Sanierungsmaßnahmen am Gebäudebestand
In der Europäischen Union werden derzeit etwa 25 % des Endenergiebedarfs für Raumwärme aufgewendet [3]. Gleichzeitig sind die Potenziale zur Reduktion dieses Bedarfs erheblich: vergleicht man renovierte mit unrenovierten Gebäuden, so können 60 % und mehr eingespart werden. Zur Identifikation sinnvoller Einsparungsniveaus im Zusammenspiel der Kosten aus Energiereduktion und -bereitstellung in einem langfristig dekarbonisierten Energiesystem wurden Kostenkurven für Sanierungsmaßnahmen am Gebäudebestand entwickelt. Die Kostenkurven basieren zum einen auf detaillierten Gebäudebestandsdaten der untersuchten Länder (vor allem Nutzungsart, thermische Eigenschaften relevanter Bauteile, Alter und derzeitiger Sanierungszustand). Zum anderen wurde eine Vielzahl an Kostendaten zu Sanierungsmaßnahmen unterschiedlicher Intensität in den untersuchten Ländern erhoben und daraus Kostenfunktionen abgeleitet. Für jedes typische Gebäude eines Landes wurden dann für zahlreiche potentielle Sanierungszustände die entsprechenden Kosten und Einsparungen errechnet, auf den Gesamtbestand hochgerechnet und den Kosten nach sortiert.
Die Abbildung zeigt die resultierenden durchschnittlichen Sanierungskosten aller durchgeführten Sanierungsprojekte, um den Heizwärmebedarf im Jahr 2050 auf unterschiedliche Niveaus zu reduzieren. Die Kosten werden hier als Zusatzkosten gegenüber reinen Instandhaltungsmaßnahmen dargestellt. Die relative Einsparung bezieht sich auf den derzeitigen Heizwärmebedarf der bestehenden Gebäude, welche voraussichtlich in 2050 noch existieren, plus den Heizenergiebedarf des zu erwartenden Neubaus entsprechend den derzeitigen Baustandards.
Kostenkurven solarthermischer Anwendungen
Basis für die Erstellung der Kostenkurven für solarthermische Anwendungen war eine Kategorisierung verfügbarer Solarkonzepte nach dem Stand der Technik und die Ermittlung charakteristischer Kennzahlen aus einer ausreichenden Stichprobe an Anlagen. Zur Kategorisierung der identifizierten Solarkonzepte wurden Solarsysteme grob in „Systeme zur Wärmelieferung an Einzelobjekte“ und „Systeme zur Wärmelieferung an Wärmenetze“ unterschieden und in sieben Untergruppen unterteilt. Insgesamt wurden 46 bestehende solarthermische Anlagen aus Österreich, Dänemark und Deutschland untersucht und ausgewertet. Als Ergebnis liegen für die definierten Kategorien technische und wirtschaftliche Kennzahlen in Form von Boxplotdiagrammen sowie in tabellarischer Form vor. Zusätzlich wurden Kostenkurven für schlüsselfertige Solarsysteme mit und ohne Speicher in Abhängigkeit der Kollektorfeldgröße und Art der Montage (dach- oder bodenmontiert) einerseits (siehe Abbildung) sowie Kostenkurven ausschließlich für unterschiedliche Speichertechnologien (Kurz- und Langzeitspeicher) in Abhängigkeit des Speichervolumens erstellt. Aus den techno-ökonomischen Kennzahlen wurden in weiter Folge die annuisierten Kosten für solarthermisch generierte Wärme in €-ct je kWh Wärme je Kategorie berechnet. Der ausführliche Benchmark- Bericht inklusive Übersichtstabellen mit den Kennzahlen sowie die Kostenfunktionen sind online verfügbar [4].
Zur konkreten Beantwortung der Forschungsfragestellung nach der zukünftigen Rolle der Solarthermie in einem erneuerbaren Energiesystem wurden unterschiedliche solare Deckungsanteile an der Wärmeversorgung im Modell nachgebildet und die Auswirkungen auf das Gesamtsystem nach energetischen (Primärenergie), ökologischen ( CO2-Emissionen) sowie ökonomischen (sozio-ökonomische Gesamtkosten) Gesichtspunkten bewertet.
Die Ergebnisse dieser Energiesystemanalyse sind für die Länder in vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich: Neben der Fragestellung bezüglich Solarthermie wurde für Österreich beispielsweise festgestellt, dass ein sozio-ökonomisches Kostenminimum der Gebäudesanierung voraussichtlich im Bereich von etwa 40 % liegt. Das heißt, bis etwa 40 % Reduktion des gesamten Heizwärmebedarfs ist eine Sanierung voraussichtlich günstiger, ab dann dürfte die kWh Einsparung teurer werden als deren Bereitstellung aus erneuerbaren Quellen. Darüber hinaus wurde auch ein technischwirtschaftliches Optimum für den Fernwärmeausbau abgeschätzt, welches für Österreich bei etwa 40 % des Niedertemperaturwärmebedarfs liegt (gegenüber derzeit 25-30 %). Das technische Potenzial für Solarthermie in Österreich 2050 wird je nach Szenario mit 2-7 TWh/Jahr bzw. 4-12% Anteil am Wärmemarkt beziffert, wobei die Potenziale mit ansteigendem Anteil konkurrierender erneuerbarer Energietechnologien abnehmen. Dieses Potenzial entspricht einer Kollektorfläche von 4-20 Mio. m². Zum Vergleich, heute sind bereits über 5 Mio. m² in Betrieb. Die Ergebnisse für die weiteren Länder weisen eine ähnliche Größenordnung in Bezug auf die solare Deckung am gesamten Wärmemarkt im Jahr 2050 auf - Deutschland: 15-60 TWh/Jahr bzw. 3-11% Deckung, Italien: 8-24 TWh/Jahr oder 2-10% Deckung, Dänemark: 2-5 TWh/Jahr oder 3-10% Deckung.
Zusammenfassung
Die Potenziale von Einzeltechnologien und Energieeffizienzmaßnahmen in einem Energiesystem der Zukunft müssen in einem ganzheitlichen Energiesystemkontext untersucht werden. Im Rahmen des IEA SHC Task 52 wurden mittels Energiesystemanalyse konkrete und belastbare Erkenntnisse für die zukünftige Rolle der Solarthermie abgeleitet:
- Das Design des Energiesystems ist entscheidend für die Integration von Solarthermie.
- Szenarien zeigen, dass das techno-ökonomische Potenzial für Solarwärme im Bereich von 3-12 % des zukünftigen Wärmemarktes liegt.
- Je nach gewähltem Ansatz zur Ermittlung des techno- ökonomischen Potenzials kann die Installation von Solarthermie zu höheren sozioökonomischen Kosten für das Energiesystem führen (z. B.: wenn durch Solarthermie günstigere Abwärme oder Wärmepumpenbetrieb aus erneuerbarem Überschussstrom substituiert wird).
- Solarthermie kann insbesondere den Druck hinsichtlich Verfügbarkeit für knappe erneuerbare Ressourcen wie Biomasse verringern.
- In einem erneuerbarem Energiesystem konkurriert Solarthermie mit anderen erneuerbaren Wärmeversorgungsoptionen. Vorteile von heute ( CO2-Reduktion, Einsparung fossiler Energieträger) sind in einem solchen Energiesystem keine Argumente mehr.
- Eine vollständige Energiesystemperspektive ist erforderlich, um die zukünftige Rolle von Solarthermie zu analysieren - einschließlich Sektorkopplung mit Transport und Industrie.
- Für Siedlungsgebiete mit entsprechenden Wärmebedarfsdichten sind smarte Wärmenetze eine der vielversprechendsten Lösungen zur Dekarbonisierung des Wärmesektors. Eine netzgebundene Wärmeversorgungsinfrastruktur bietet den Vorteil, dass lokale Ressourcen wie Abwärme, Umgebungswärme oder eben Solarenergie auch in Kombination und angepasst an die spezifischen räumlichen Gegebenheiten genutzt werden können.
Literatur
- Mathiesen, B.; Hansen, K. 2017, The role of Solar thermal in Future Energy Systems, http://task52.iea-shc.org/Data/Sites/1/publications/ IEA-SHC-Task52-STA-AAU-Report-20170914.pdf
- Hummel et al 2018, COST CURVES FOR HEAT SAVINGS IN BUILDINGS, IEA Task 52, ST-A Teilbericht
- Fleiter, T., Steinbach, J., Ragwitz, M., Dengler, J., Reitze, F., Tuille, F., Hartner, M., Reiter, U., 2016. Mapping and analyses of the current and future (2020 - 2030) heating/cooling fuel deployment (fossil/renewables) - WP 1 report
- Mauthner, F., Herkel, S., 2016: Classification and Benchmarking of Solar Thermal Systems in Urban Environments, IEA SHC Task 52, ST-C Ergebnisbericht, http://task52.iea-shc.org/Data/Sites/1/publications/ IEA-SHC-Task52-STC1-Classification-and-Benchmarking- Report-2016-03-311.pdf
Autoren
Dipl.-Ing. Marcus Hummel ist Forscher der Energy Economics Group (EEG) an der Technischen Universität Wien.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Sebastian Herkel ist Head of Department Energy Efficient Buildings am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme
in Freiburg, Deutschland. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Franz Mauthner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe netzgebundene Energieversorgung und
Systemanalysen bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Weiterführende Informationen
http://task52.iea-shc.org/Data/Sites/1/publications/IEA-SHC-Task52-STA-AAU-Report-20170914.pdf