Kreislaufwirtschaft und Bioeconomy als Chance und Herausforderung für die Industrie
Von Karin Fazeni-Fraisl, Johannes Lindorfer
Ausgangsituation
Der Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft in der EU sowie die Bioökonomie-Strategie der Europäischen Kommission sind als wesentliche Ausgangspunkte der Bestrebungen für die Gestaltung eines verstärkt auf biogenen Ressourcen basierenden Produkt- und Energiemarktes zu sehen. Der Einsatz von Biomasse und biobasierten Produkten ist ein Schwerpunktthema der Strategie zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft. Durch die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von Biomasse sowohl zur Herstellung von Energieträgern als auch stofflichen Produkten und deren Eigenschaften hinsichtlich Regenerierbarkeit und biologischer Abbaubarkeit ist Biomasse ein wichtiger Baustein. Dabei ist eine kaskadische Rohstoffnutzung erstrebenswert. In diesem Zusammenhang kann ein starker Konnex der Strategie zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft und der Bioökonomie-Strategie gesehen werden. Die Bioökonomie-Strategie zielt langfristig darauf ab, das derzeit auf fossilen Ressourcen basierende Wirtschaftssystem durch ein auf erneuerbaren Ressourcen basierendes zu transformieren.1
Als Herausforderung gilt dabei die Gewährleistung der Ernährungssicherheit, eines nachhaltigen Managements der natürlichen Ressourcen, der Wettbewerbsfähigkeit und des Klimaschutzes. Vor allem die Sektoren Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Aquakultur, biobasierte Industrie und die Lebensmittelwertschöpfungskette werden als Hauptakteure in einer zukünftigen Bioökonomie gesehen.2 Eine Option, die Ziele der Kreislaufwirtschaft und der Bioökonomie zu vereinen, ist eine verstärkte Nutzung der anfallenden biogenen Reststoffe entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette zur Erzeugung von regenerativen Energieträgern und biobasierten Produkten. Daraus ergeben sich neben Chancen für die Industrie auch Herausforderungen, die es zukünftig verstärkt zu bearbeiten gilt.
Biobasierte Industrie in der Kreislaufwirtschaft. Quelle: http://biconsortium.eu/about/our-vision
Biogene Abfälle entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette
Zur Verwertung von biogenen Abfällen zu Bioenergie und biobasierten Materialien stehen heute mehrere Technologiepfade zur Verfügung. Hinlänglich bekannt ist die anaerobe Vergärung von biogenen Reststoffen zu Biogas oder die Erzeugung von Biodiesel aus Altöl und Altfetten. Weiters, heute im industriellen Maßstab, realisiert ist die Produktion von Bioethanol der 2. Generation aus dem landwirtschaftlichen Reststoff Stroh. Daneben werden Bioraffineriekonzepte entwickelt und erprobt, die - neben Energieträgern - auf die Herstellung von Basischemikalien als Grundstoffe für die chemische Industrie (z. B. organische Säuren, Alkohole) aus Reststoffen, wie Stroh oder Holzabfällen, abzielen. Aus zucker- oder fettreichen organischen Abfällen können unter anderem auch Fettsäuren erzeugt werden, die als Ausgangsbasis für die Herstellung von biobasierten Kunststoffen dienen.3 Je nach Art des verfügbaren biogenen Reststoffs und des gewünschten Produkts muss der wirtschaftlich und ökologisch bestgeeignetste Technologiepfad identifiziert werden. In Abhängigkeit von Region bzw. Standort können sich dadurch unterschiedliche Kombinationen von Rohstoffeinsatz, Verfahren und Produkt ergeben. Das Design dieser Kombinationen ist eine wesentliche Herausforderung und gleichzeitig eine Voraussetzung für die Bioökonomie.
Ausgangsbasis für Überlegungen zur Ausgestaltung einer zukünftigen Bioökonomie ist die Abschätzung und Charakterisierung des Potentials an biogenen Reststoffen entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette. Die nachfolgende Abbildung zeigt dazu eine vereinfachte Übersicht über die Lebensmittelwertschöpfungskette und die potenziell in jeder Stufe anfallenden biogenen Reststoffe.
In der Literatur sind vor allem Daten zum Aufkommen an biogenen Reststoffen für die Wertschöpfungsstufen der verarbeitenden Industrie, für den Einzelhandel und seitens der Verbraucher vorhanden. Bis dato wenig dokumentiert sind die biogenen Reststoffe der Landwirtschaft – vor allem Ernterückstände. In der Lebensmittelproduktion fallen in Österreich rund 1,3 Mio. t nicht-vermeidbare biogene Abfälle pro Jahr an, wobei der Großteil (~420.000 t/a) in Molkereien entsteht, gefolgt von Abfällen der Zuckerindustrie (~235.000 t/a).4 Im Handel, der Außer-Haus-Verpflegung sowie den Haushalten fallen weitere rund 757.000 t/a Lebensmittelabfälle an.5 Gemeinsam mit den landwirtschaftlichen Reststoffen Wirtschaftsdünger und Stroh bestehen in Österreich vielfältige Potenziale zur Erzeugung von erneuerbarer Energie und biobasierten Materialien aus biogenen Reststoffen. Um diese Potenziale zu konkretisieren bzw. jene Technologiepfade und daraus resultierende Produkte zu identifizieren, bedarf es einer detaillierten Charakterisierung der Stoffströme nach Art, Menge und Verfügbarkeit. Nur so kann zukünftig zielgerichtet an der Etablierung des Bioökonomie-Sektors in Österreich gearbeitet werden.
Biogene Abfälle entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette
Beispiele aus der Praxis sowie Forschung & Entwicklung
Während sich Projekte zur Erzeugung von Plattformchemikalien aus Abfällen der Lebensmittelwertschöpfungskette in Bioraffinerieverfahren vielfach noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden, sind Technologien zur Herstellung von Energieträgern vielfach ausgereift. Beispiele für erfolgreiche Projekte in diesem Bereich sind nachfolgend angeführt.
- Aus dem landwirtschaftlichen Reststoff Stroh wird in Straubing (Deutschland) seit mehreren Jahren erfolgreich Bioethanol hergestellt. Nun ist die Errichtung einer großindustriellen Anlage in Rumänien geplant.6
- Die Erzeugung von Biogas aus Molke zur Prozessenergieversorgung von Molkereien ist bei der Berglandmilch eGen in Wels seit längerem etabliert.7
- Ebenso ist die Herstellung von Biodiesel aus Altölen und Altfetten in Österreich etabliert. Als Beispiele können die Erzeugung von Biodiesel aus dem Altöl der Ankerbrot Großbäckerei genannt werden8 oder auch die Biodieselanlage in Arnoldstein (Kärnten), in der Tierfette und Altfette verwertet werden.9
- Die Gewinnung von Plattformchemikalien für die Biokunststofferzeugung aus Krustentierabfällen der Fischereiindustrie wurde im Labormaßstab untersucht.10
- Das Unternehmen YNSECT demonstriert derzeit in Frankreich ein Bioraffinerieverfahren bei dem aus Insektenlarven Proteine und Fette für die Futtermittelindustrie sowie Pflanzendünger gewonnen werden. Die Larven werden mit Lebensmittelabfällen gefüttert.11
- Im Forschungsprojekt AgriChemWhey wird die Erzeugung von Milchsäure und Polymilchsäure sowie organischem Dünger aus Molke in einem Bioraffinerieverfahren demonstriert.12
- Das Projekt Green Protein zielt auf die Valorisierung von grünen Gemüseabfällen aus der Landwirtschaft und nachgelagerten Industrie zur Herstellung von hochwertigem Protein ab.13
Zusammenfassung und Ausblick
Zukünftig können biogene Reststoffe einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Industrie mit erneuerbarer Energie und Rohstoffen als z. B. alternative Kohlenstoffquellen beitragen. In der 2017 veröffentlichen strategischen Forschungsagenda „Renewables4Industry“ wird die verstärkte Nutzung des energetischen Potentials von biogenen Reststoffen in der Industrie als wichtiges Forschungsthema angeführt. Einerseits soll es dabei um die Herstellung von Kohlenwasserstoffen und Alkoholen gehen, andererseits aber auch um die Entwicklung und Anwendung von Verfahren zur Aufbereitung biogener Abfälle, wie beispielsweise der Torrefizierung.14 Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind, bietet der energetische Einsatz von biogenen Reststoffen eine kontinuierliche, bedarfsgerechte Energieversorgung. Zudem sind aus biogenen Abfällen gewonnene flüssige (z. B. Bioethanol, Biodiesel), gasförmige (z. B. Biogas, Biomethan) oder feste (z. B. Biokohle) Energieträger mit bestehenden Technologien gut speicherbar. Vor allem für die Lebensmittelindustrie bietet sich durch die energetische Nutzung biogener Reststoffe großes Potenzial zur Etablierung kaskadischer Rohstoffnutzung und geschlossener Kreisläufe. Des Weiteren sollte zukünftig verstärkt eine Rückgewinnung von Wertstoffen sowie die Möglichkeit zur Nutzung von Sekundärrohstoffen geprüft werden. Beispiele hierfür sind die Gewinnung von Laktose aus Molke oder von Ölen aus Trestern.15 Der Umsatz an biobasierten Chemikalien wird für die Europäische Union mit 50 Mrd. Euro pro Jahr abgeschätzt. Biokunststoffe, Biolösungsmittel sowie Bioschmierstoffe zeigen dabei einen jährlichen Umsatz in der Höhe von jeweils 0,4 Mrd. Euro, der Umsatz an biobasierten Tensiden wird auf 0,7 Mrd. Euro jährlich geschätzt. Der jährliche Umsatz an biogenen Treibstoffen wird auf 16 Mrd. Euro und jener im Bereich der Bioenergie auf 34 Mrd. Euro geschätzt. Für den biobasierten Chemikalien-Markt wird ein stetiges Marktwachstum prognostiziert. Bis zum Jahr 2030 sollen biobasierte Chemikalien rund 30 % der heute fossil basierten ersetzen.16 Es zeigt sich, dass im Bioökonomie-Sektor große wirtschaftliche Potenziale für die Industrie stecken. Eine der großen Herausforderungen wird sein, diese Potentiale nachhaltig zu heben ohne Konkurrenzen, beispielsweise mit der Ernährung, zu erzeugen. Um zukünftig die Nachfrage nach biobasierten Stoffen decken zu können und gleichzeitig ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit zur gewährleisten, kann verstärkt auf die Valorisierung von biogenen Reststoffen gesetzt werden.
Statement
"Die Bioökonomie bietet gute Chancen, neue biobasierte Industriesektoren zu entwickeln und neue Märkte für biobasierte Produkte zu schaffen, bei gleichzeitiger Steigerung der Ressourceneffizienz und Verbesserung der Umweltverträglichkeit. Die nachhaltige Nutzung von biogenen Ressourcen trägt zur Verbesserung der wirtschaftlichen und ökologischen Performance der Industrie bei."
Karin Fazeni-Fraisl, Senior Researcher, Energieinstitut an der Johannes Kepler Universität Linz
Literatur
- Vgl. Fazeni, K. (2017). Life Cycle Assessment und betriebswirtschaftliche Analyse zur methodischen Weiterentwicklung des Life Cycle Process Designs. Demonstriert an der Entwicklung eines innovativen
Bioraffineriekonzept. Dissertation. Institut für betriebliche und regionale Umweltwirtschaft, JKU. - Vgl. Fazeni, K. (2017). Life Cycle Assessment und betriebswirtschaftliche Analyse zur methodischen Weiterentwicklung des Life Cycle Process Designs. Demonstriert an der Entwicklung eines innovativen Bioraffineriekonzept. Dissertation. Institut für betriebliche und regionale Umweltwirtschaft, JKU.
- Vgl. Torres De Matos, C. et al (2015). Environmental Sustainability Assessment of Bioeconomy Products and Processes – Progress Report 1. European Commission, Joint Research Center.
- Vgl. Österreichisches Ökologie-Institut (2017). Abfallvermeidung in der österreichischen Lebensmittelproduktion. Wien 2017
- Vgl. Pladerer, Ch. et al (2016). Lagebericht zu Lebensmittelabfällen und -verlusten in Österreich. Wien 2016.
- Vgl. http://sunliquid-project-fp7.eu/news-events/news/ (dl: 24.04.2018)
- Vgl. www.grazer-ea.at/biomassekwk/.../berglandmilch__creamery__chp_infoblatt_deu.pdf (dl: 24.04.2018)
- Vgl. https://www.ankerbrot.at/news/84/ANKER_spart_CO2_ein__Altoel_wird_zu_Biodiesel (dl: 24.04.2018)
- Vgl. http://www.biodiesel-kaernten.at/ (dl: 24.04.2018)
- Vgl. https://idw-online.de/de/news452044 (dl: 24.04.2018)
- Vgl. https://ec.europa.eu/environment/ecoap/about-eco-innovation/business-fundings/company-turns-insect-based-biorefining-reality_de (dl: 24.04.2018)
- Vgl. https://www.agrichemwhey.com/ (dl: 24.04.2018)
- Vgl. http://greenproteinproject.eu/ (dl: 24.04.2018)
- Vgl. Moser, S. et al (2017). Renewables4Industry. Abstimmung des Energiebedarfs von industriellen Anlagen und der Energieversorgung aus fluktuierenden Erneuerbaren. Endberichtsteil 1 von 3. Strategische Forschungsagenda.
- Vgl. Brunner, Ch. et al (2016). F&E Fahrplan Energieeffizienz in der Lebensmittel- und Textilindustrie. Lebensmittel- und Textilindustrie. Diskussionspapier.
- Vgl. Scarlat, N. et al (2015). The role of biomass and bioenergy in a future bioeconomy: Policies and facts. Environmental Development, Vol. 15, pp. 3-34.
AutorInnen
Dr. Karin Fazeni-Fraisl ist Senior Researcher an der Johannes Kepler Universität Linz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
DI (FH) Johannes Lindorfer ist Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Energieinstitut der Johannes Kepler Universität Linz.