Neuartige Kunststoffliner für großvolumige Warmwasserspeicher
Gernot M. Wallner, Ines Traxler, Michael Grabmann, David Nitsche, Wim van Helden
Der Großteil der Bevölkerung lebt heute bereits in urbanen Gegenden bzw. Städten und dieser Trend wird sich laut Prognosen noch fortsetzen. Aus diesem Grund nimmt die Thematik der urbanen Energieversorgung einen wesentlichen Platz in energie- und umweltstrategischen Überlegungen ein.
Fernwärmenetze sind gut geeignet, Städte und Siedlungsgebiete mit thermischer Energie zu versorgen. Um jedoch verstärkt erneuerbare Energien in Fernwärmenetze integrieren zu können, sind saisonale Großwärmespeicher notwendig, die in der Lage sind, das volatile Angebot Erneuerbarer und die Nachfrage nach thermischer Energie (in unseren Breiten hauptsächlich im Winter) zusammenzuführen. Großwärmespeicher, wie beipielsweise wassergefüllte Erdbeckenspeicher, ermöglichen aber nicht nur die saisonale Speicherung erneuerbarer Wärme, sondern dienen auch der kurzfristigen und flexiblen Zwischenspeicherung von Wärme unterschiedlicher Quellen wie z. B. aus Heizkraftwerken, Groß-Wärmepumpen, Tiefen-Geothermie oder industrieller Abwärme. Eine weitere vielversprechende Anwendung großvolumiger Warmwasserspeicher liegt unter den Stichworten Sektorkopplung und Power2Heat-Konzepten in der Zusammenführung des Strom- und Wärmesektors.
Ein Konsortium, bestehend aus Forschungs- und Industriepartnern, arbeitet im österreichischen Leitprojekt „giga_TES“ an der Entwicklung von groß- volumigen Warmwasserspeichern. Diese sind eine wirtschaftlich attraktive Lösung auf dem Weg zu einer vollständigen erneuerbaren Wärmeversorgung von Städten und werden eine zentrale Rolle in der urbanen Wärmewende einnehmen.
Kostengünstige Abdichtung von wassergefüllten Erdbeckenspeichern
Für Solarthermie-Großanlagen haben sich ungedämmte Erdreichwärmespeicher mit Wasservolumina bis zu 200.000 m3 als kostengünstige Variante etabliert (siehe Titelbild). Wesentliche Elemente dieser großvolumigen Warmwasserspeicher in Erdbecken-Bauweise sind die Abdichtung gegenüber dem Erdreich und der Deckel. Während anfänglich kostenintensive Edelstahlbleche für die Abdichtung gegenüber dem Erdreich bevorzugt wurden, haben sich im letzten Jahrzehnt Kunststoffbahnen am Markt durchgesetzt. Dadurch liegen die Kosten der mit Kunststofflinern ausgestatteten Speicher bei etwa 20 €/m3 [1]. Als Werkstoffe dominieren derzeit spezielle Polyethylenwerkstoffe (PE) mit maßgeschneiderter Stabilisierung. Eine neue Werkstoffgeneration basierend auf temperaturbeständigerem Polypropylen (PP) wird im Projekt „giga_TES“ entwickelt.
Vorteile und Anforderungen
Als Liner für die Abdichtung werden Membran- oder Plattenhalbzeuge mit einer Wandstärke von etwa 2 mm verwendet. Die derzeit zum Einsatz kommenden Polyethylen (PE)-Rohrwerkstoffe mit spezieller Stabilisierung sind über Extrusion kontinuierlich in Bahnen von etwa 6 m Breite herstellbar, einfach verlegbar und vor Ort verschweißbar (siehe Abbildung).
Durch die Stützwirkung der Tragekonstruktion (z. B. Erdreich bei Großspeichern) werden die mechanischen Lasten auf die Linermaterialien als gering eingestuft. Zu den relevanten Belastungsfaktoren zählen das Wärmeträgermedium Wasser (ggf. leicht basisch) und die Umgebungsluft bei erhöhten Temperaturen. Für Stand-der-Technik-Speicher variiert die Maximaltemperatur im Deckelbereich zwischen 55 und 80 °C. In einem aktuellen Projekt in Kopenhagen (DK) ist ein Großwärmespeicher mit permanenter Temperaturbelastung von 95 °C im Deckelbereich geplant.
Neuartige PP-Materialien
Für Stand-der-Technik-Speicher wurden spezielle Polyethylen-Liner (PE) entwickelt und qualifiziert, wobei die durch Alterungsuntersuchungen und durch Annahme kumulativer Schädigungsmodelle abgeleiteten Lebensdauerwerte etwa 20 bis 30 Jahre betragen [2, 3, 4]. Bei einem permanenten Betrieb bei 95 °C, Temperaturen wie sie bei Hochleistungsspeichern im Deckelbereich auftreten, ergaben die Laboruntersuchungen an den PE-Linern jedoch zu erwartende Lebensdauern von unter 10 Jahren [4]. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit der Entwicklung von Linermaterialien mit verbesserter Langzeitperformance bei gleichzeitig einfacher und kostengünstiger Installierbarkeit.
In Deutschland fokussierten sich die Entwicklungen auf Abdichtungsbahnen aus Edelstahl. Der höhere Materialpreis von Edelstahl und die wesentlich aufwändigere Verlegung und Verschweißung bedingen allerdings bis zu 10-fach höhere Kosten für die Abdichtung. In den österreichischen Großforschungsvorhaben „SolPol-4/5“ und „giga_TES“ wurde der Fokus der Entwicklungen auf Polypropylenwerkstoffe (PP) mit spezieller Mikromorphologie gelegt. In Zusammenarbeit der Firmen AGRU Kunststofftechnik (Bad Hall, OÖ), Gabriel Chemie (Gumpoldskirchen, NÖ) und Lenzing Plastics (Lenzing, OÖ) sowie dem Institut für Polymerwerkstoffe der JKU Linz (OÖ) wurden neuartige PP-Typen entwickelt, mit maßgeschneiderten Stabilisierungspaketen weiter optimiert und in umfassenden Laboruntersuchungen ausgetestet [5, 6]. Die Versprödungsdaten liegen für den PP-Basiswerkstoff (ohne Zusatzstabilisierung) bei 95 °C Dauerbelastung in Heißluft bei 10 Jahren. Für die beste Formulierung (mit Zusatzstabilisierung) ergab sich auf Mikroprüfkörperebene und bei erhöhten Temperaturen von 115 bis 135 °C eine um den Faktor 3,5 längere Versagenszeit. Daraus resultieren selbst für den kritischen Deckelbereich von Hochleistungsspeichern mit Heißwasser bei 95 °C Gebrauchsdauern von mehr als 30 Jahren. Für Stand-der-Technik-Speicher könnte mit dem optimierten PP-Linermaterial die Lebensdauer in allen Bereichen (Deckel, Wand, Boden) auf deutlich mehr als 50 Jahre angehoben werden.
Ausblick
Aktuelle Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Implementierung von geeigneten Verfahren zur effizienten und schonenden Verschweißung der optimierten PP-Linermaterialien. Im Vergleich zu PE weist PP aufgrund des niedrigeren Kristallinitätsgrades eine höhere Permeationsrate für Wasserdampf auf. Um Wasserverluste gänzlich zu unterbinden, werden daher im Projekt „giga_TES“ Mehrlagenlaminate mit einer wasserdampfdichten Sperrschicht entwickelt. Zur langzeitigen Kopplung der anorganischen Sperrschicht mit dem neuartigen PP-Liner erweist sich eine dünne Kunststoff-Haftvermittlerschicht als besonders vielversprechend, die ursprünglich für die Einkapselung von Photovoltaikmodulen entwickelt wurde.
Statements
"Der Nutzen des Projekts „giga_TES“ für die Industrie ist vielfältig. Zum einen werden durch die grundlegende Untersuchung von Materialien und Werkstoffen deren Eigenschaften und Belastungsgrenzen ermittelt und die Basis für die Weiterentwicklung neuer Materialien gelegt. Zum anderen werden neuartige Produkte entwickelt, die der Erschließung neuer Marktsegmente dienen. Im Rahmen des Projekts verfolgen wir die Entwicklung einer geeigneten Sandwichstruktur, die den Anforderungen, die an eine Speicherabdeckung gestellt werden (hohe Temperaturen bei gleichzeitig vorherrschender Umgebungsfeuchte), gewachsen ist."
Martin Paula, Leiter Forschung und Entwicklung bei Metawell GmbH
"In der Bauindustrie und Tiefbautechnik ist man mit Lebensdauerfragen bis weit über 100 Jahre hinaus konfrontiert. Um diese Fragen so gut wie möglich abschätzen zu können, ist das Wissen von mehreren Fachrichtungen sehr wichtig. Im „SolPol“- und nun auch im „giga_TES“-Forschungsprojekt arbeiten Industrie und Forschungsanstalten intensiv zusammen. Wir von AGRU Kunststofftechnik GmbH haben somit Zugang zu langfristiger, fundierter, strukturierter wissenschaftlicher Begleitung, um gute nachhaltige Lösungen anzubieten."
David Nitsche, Werksleiter Liner Extrusion bei AGRU Kunststofftechnik GmbH
Weiterführende Informationen
https://gigates.at/index.php/de/
- Weiß, W. (2012). Schwerpunkte der strategischen Forschungsagenda Solarthermie und internationale Trends bei Großanlagen, Vortrag, ASTTP Workshop, Wien.
- Paranowska, I., Pedersen, S. (2013). Lifetime Determination for Polymer Liners Used in Construction of Seasonal Thermal Storage, Proceedings of 5th European Weathering Symposium EWS, September 21-23, Lisbon, Pt, 9 pages.
- Wallner, G.M., Grabmayer, K., Beissmann, S., Schobermayr, H., Buchberger, W., Lang, R.W. (2013). Methoden zur beschleunigten Alterungsprüfung von Kunststoffen, erneuerbare energie, 1, 18-20.
- Grabmann, M.K., Wallner, G.M., Buchberger, W., Nitsche, D. (2017). Aging and Lifetime Assessment of Polyethylene Liners for Heat Storages – Effect of Liner Thickness, Proceedings ISES Solar World Congress 2017, 753-760
- Grabmann, M.K., Wallner, G.M., Grabmayer, K., Buchberger, W., Nitsche, D. (2018). Effect of thickness and temperature on the global aging behavior of polypropylene random copolymers for seasonal thermal energy storages, Solar Energy, 172, 152-157.
- Grabmann, M.K., Wallner, G.M., Grabmayer, K., Nitsche, D., Lang, R.W. (2018). Aging behavior and lifetime assessment of polyolefin liner materials for seasonal heat storage using micro-specimen, Solar Energy, 170, 988-990.
Autoren
ao.Univ-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gernot M. Wallner ist stellvertretender Leiter des Instituts für Polymerwerkstoffe und Prüfung der JKU Linz und beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Entwicklung von Kunststoffen für solartechnische Anwendungen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Ines Traxler, BSc ist studentische Mitarbeiterin (Diplomandin) am Institut für Polymerwerkstoffe und Prüfung der JKU Linz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Dr. Michael Grabmann hat sein Doktorat an der JKU-Linz 2018 abgeschlossen und beschäftigt sich bei Lenzing Plastics (Lenzing, OÖ) mit der Entwicklung und Austestung von Kunststofffolien und -laminaten. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. David Nitsche ist Werksleiter für Folienextrusion bei der AGRU Kunststofftechnik (Bad Hall, OÖ). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dr. Wim van Helden leitet die Gruppe „Thermische Speicher“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!