Zeitschrift EE

nt 02 | 2022 Wärmenetze im Wandel

Implementierung von Niedertemperatur-Fernwärme

Im Rahmen des „District Heating and Cooling Collaboration Programme“ der Internationalen Energieagentur wurde ein Projekt (IEA DHC Task TS21) gestartet und mittlerweile abgeschlossen, um konkrete Informationen zu liefern, damit die Einführung von Niedertemperatur-Fernwärmesystemen (NTFW) einfacher möglich wird. Am Projekt nahmen insgesamt acht Nationen mit insgesamt 15 Partnern, darunter auch österreichische Institute, teil. Im Laufe des Projekts wurden weltweit über 165 Implementierungen identifiziert, die bestätigen, dass Niedertemperatur-Fernwärmesysteme ein globaler Trend sind. Eine Reihe von Fallstudien wurde im Detail untersucht. Der Reifegrad der Fallstudien war unterschiedlich und reichte vom Labormaßstab bis zur vollständigen Umsetzung. Aus diesen Fallstudien wurden dann Best Practices und Faktoren, die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Implementierung von NTFW-Systemen stark beeinflussen, abgeleitet. Die Ergebnisse der Untersuchungen sowie die Fallstudien wurden in einem Guidebook zusammengefasst1.

Guidebook zur Implementierung von Niedertemperatur-Fernwärme Quelle: IEA DHC Annex TS21

Fallstudie Brunnshög in Lund, Schweden

Ein prominentes Beispiel wurde in Lund, Schweden, umgesetzt. Die Entwicklung der Stadt Lund ist stark von der Entwicklung der Universität Lund beeinflusst. So soll die Stadt in mehreren Schritten bis 2035 um ein neues großes Wohngebiet namens Brunnshög im Nordosten der Stadt erweitert werden. Die erste Phase wird 110 Hektar und eine Gebäudefläche von 0,64 Millionen m2 umfassen. Innerhalb dieses Entwicklungsgebietes wurden zwei große Forschungseinrichtungen angesiedelt. Die erste ist das „MAX IV-Labor“, ein nationales schwedisches Labor, das Wissenschaftlern Röntgenstrahlen für die Forschung zur Verfügung stellt. Die andere Forschungseinrichtung ist die „European Spallation Source (ESS)“, eine multidisziplinäre Forschungseinrichtung, der 13 europäische Länder angehören.

Das Versorgungsnetz in Brunnshög ist Teil einer Vereinbarung, die 2013 zwischen der Gemeinde Lund und den lokalen Infrastrukturanbietern geschlossen wurde. Kraftringen ist der kommunale Energieversorger in der Region Lund, der auch Eigentümer und Betreiber dieses Niedertemperatur-Wärmeverteilungsnetzes ist. Die erste Wärmelieferung aus dem Niedertemperaturnetz erfolgte im September 2019. Im Endausbau kann die jährlich verfügbare Abwärme aus den Forschungslabors auf etwa 200-250 GWh pro Jahr geschätzt werden. Allerdings wird der erwartete Wärmebedarf der Gebäude im Jahr 2035 nur 23 GWh betragen. Die Herausforderung ist daher, diese überschüssige Wärme im bestehenden Fernwärmesystem von Lund zu nutzen und ist Teil laufender Projekte.

Für alle Neubauten wird der Gebäudestandard in Brunnshög auf Nearly Zero Energy Building (NZEB)- Niveau liegen. Der erwartete spezifische Gebäudewärmebedarf für die Planung des Wärmeverteilnetzes beträgt 36 kWh/m2/a. Das Verteilnetz ist für eine Vorlauftemperatur von 65 °C und eine Rücklauftemperatur von 35 °C ausgelegt. Es wird eine klassische Netzkonfiguration mit zwei parallelen Leitungen und einer Übergabestation in jedem Gebäude geben. Die gewählte Vorlauftemperatur ist die Mindestvorlauftemperatur, mit der die schwedische Gesetzgebung bezüglich der Legionellenthematik im Warmwasserzirkulationssystem der angeschlossenen Gebäude erfüllt werden kann. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass niedrigere Wärmeverteilungstemperaturen als 65/35 °C nicht möglich sind, wenn eine klassische Netzkonfiguration mit einer Übergabestation für jedes Mehrfamilienhaus verwendet wird.

Die Gesamtlänge des Fernwärmesystems im Gebiet Brunnshög wird bis 2035 etwa 6,5 km betragen, und auf 2,8 km werden Kunststoffrohre verwendet. Diese Kunststoffrohre sind eine Innovation und wurden zusammen mit dem Rohrhersteller Logstor entwickelt. Die Rohre werden einen Auslegungsdruck von 10 bar haben.

Netzlayout des NiedertemperaturFernwärmesystems in Brunnshög, Schweden. Quelle: IEA DHC Annex TS2 (Kraftringen Energi AB)

Erfolgsfaktoren für die Implementierung von Niedertemperatursystemen

Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, wie sich die Absenkung der Temperaturen auf Gebäude- und Systemebene auswirkt und welche Wärmequellen auf europäischer Ebene zur Integration in Niedertemperatur-Wärmenetze genutzt werden.

Um hier mögliche Kostensenkungen zu quantifizieren, wurde als Indikator ein "Kostenreduktionsgradient" (KRG) definiert, als Verhältnis zwischen der Reduzierung der gemittelten Wärmegestehungskosten (levelized costs of heat, LCOH) für eine Versorgungstechnologie oder des Gesamtsystems und der erreichten Temperaturreduzierung. Die Differenz zwischen einem höheren LCOH (Referenzfall) und einem niedrigeren LCOH (Bewertungsfall) ist der Vorteil durch die durchgeführten Maßnahmen in der Temperaturabsenkung. Der Kostensenkungsgradient beschreibt so den wirtschaftlichen Nutzen in Form von reduzierten Kosten pro Grad Celsius Temperatursenkung und pro MWh der Referenzwärmemenge. Je höher der KSG-Wert in Euro/(MWh*°C), desto größer ist die Kostensenkungssensitivität für die Wärmeversorgungstechnologie oder das Fernwärmesystem (siehe Tabelle).

Tabelle: Kostensenkungspotenziale in Abhängigkeit der Technologie und der Temperaturabsenkung in Bezug auf Investitionskosten und Betriebskosten (Quelle: IEA DHC Annex TS2)

Vorteile und Erkenntnisse

Nachfolgende Erkenntnisse sowie Vorteile unterschiedlicher Technologien zur Einbindung in Niedertemperatur-Fernwärmenetze wurden im Guidebook zusammengefasst:

  1. Es ist möglich, geothermische Energie als Wärmequelle in Fernwärmesystemen zu nutzen. Am effizientesten ist es, wenn die geothermische Wärme eine höhere Temperatur als die Vorlauftemperatur im Fernwärmenetz hat. Bei niedrigen Systemtemperaturen und somit niedrigeren Rücklauftemperaturen kann mehr Wärme aufgrund der erhöhten Spreizung aus geothermischen Quellen genutzt werden.
  2. In den Fernwärmenetzen in Europa werden Wärmepumpen mit unterschiedlichen Wärmequellen eingesetzt. Eine Analyse hat gezeigt, dass größere Wärmepumpen als häufigste Wärmequelle Abwasser, industrielle Restwärme und Wärme aus Seen und Flüssen nutzen. Die Effizienz einer Wärmepumpe steigt, wenn die Temperatur im Fernwärmenetz sinkt. Dann wird für die gleiche Heizwirkung weniger elektrische Energie benötigt, was bedeutet, dass bei gleichbleibender Strommenge mehr Wärme erzeugt werden kann.
  3. Eine verstärkte Nutzung von industrieller Abwärme führt zu einem geringeren Einsatz von Primärenergie und damit zu geringeren Emissionen. Darüber hinaus besteht ein Kosteneinsparungspotenzial.
  4. Was Solarthermie betrifft, so werden die optischen Verluste der Kollektoren nicht durch das Temperaturniveau beeinflusst. Das Temperaturniveau beeinflusst jedoch den Wärmeverlust und die nutzbare Wärmemenge. Die Effizienz von Solarkollektoren steigt, wenn die Temperatur im Verteilnetz sinkt, da die Wärmeverluste abnehmen.
  5. Rauchgaskondensation ermöglicht die Rückgewinnung von Wärme aus den bei der Verbrennung entstehenden Rauchgasen, z. B. in einem Heizkraftwerk. Die Rückgewinnung wird effizienter, wenn die Rücklauftemperatur im Fernwärmenetz niedrig genug ist, um das Rauchgas unter den Taupunkt abzukühlen.
  6. Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen können den Einsatz von Brennstoffen verbessern, indem sie die Abwärme aus der Stromerzeugung zum Heizen verwenden. Je nach Anlage und aktueller Betriebsweise variiert das Strom-Heizverhältnis.
  7. Speicher sind in Fernwärmenetzen wichtig, da sie eine flexible Deckung des Wärmebedarfs im Laufe der Zeit ermöglichen, unabhängig von der gleichzeitigen Erzeugung von Wärme. Durch den Einsatz eines Pufferspeichers kann ein Netz optimal mit möglichst niedrigen Temperaturen aufgebaut werden, was die Wärmeverluste sowohl im Speicher als auch im Netz reduziert. Darüber hinaus wird durch die Senkung der Rücklauftemperaturen im Fernwärmenetz die Kapazität des Speichers erhöht.
  8. Verteilungsverluste in Fernwärmenetzen beeinträchtigen die Effizienz und Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Wie hoch die Verluste sind, hängt von den Systemtemperaturen (Vor- und Rücklauf), der Isolierung der Rohre (Dicke und Zustand) und der Umgebungstemperatur ab. Es ist wünschenswert, dass der Verlust in den Netzen weniger als 10 Prozent beträgt. Vielfach liegen diese Verluste bei konventionellen, insbesondere kleineren Netzen, bei bis zu 20 Prozent im jährlichen Mittel mit bis zu 50 Prozent im Sommer. Je geringer der Temperaturunterschied zwischen dem Wärmeträger des Fernwärmenetzes und der Umgebung ist, desto geringer sind die Verluste.
  9. In Niedertemperatur-Fernwärmenetzen können Kunststoffrohre anstelle von Stahlrohren verwendet werden. Flexible Kunststoffrohre sind interessant, da sie eine schnelle Verlegung ermöglichen und eine lange Lebensdauer (50-100 Jahre) erreichen. Die Einsparungen bei Kunststoffrohren sind nicht an die Absenkung der Temperatur in bestehenden Netzen um eine bestimmte Gradzahl gebunden. Daher wurde hier kein Kostensenkungsgradient berechnet.

Das Kostensenkungsgefälle für die neun oben aufgeführten Effizienzpotenziale variiert in den untersuchten Fallbeispielen erheblich. Wenn man vor der Entscheidung steht, in die Senkung der Temperaturen im Netz zu investieren, ist es wichtig, dass alle möglichen Effizienzpotenziale mit einfließen und nicht nur einzelne. Für eine Entscheidung über die Investition in die Senkung der Netztemperaturen ist es daher wesentlich, alle möglichen Effizienzpotenziale zu berücksichtigen.

Autorin

Kristina Lygnerud ist außerordentliche Professorin für Industrie- und Finanzökonomie an der Universität Halmstad und arbeitet außerdem für das Schwedische Umweltforschungsinstitut und als Intrapreneurin im Bereich EnergieInnovation. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

1 Weitere Infos unter https://www.iea-dhc.org/the-research/annexes/2017-2021-annex-ts2. Das entwickelte Guidebook ist hier auch zu finden.

Guidebook des IEA DHC Annex TS2: https://publica.fraunhofer.de/eprints/urn_nbn_de_0011-n-6402040.pdf

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