nt 03 | 2022 Speicheroption Bauteilmasse
Beton als smarter Wärmespeicher: Optimierte Nutzung erneuerbarer Energie durch intelligente thermisch aktivierte Gebäude
Moderne Gebäude eignen sich durch bessere Gebäudedämmung und großflächige Heiz- und Kühlsysteme (Fußbodenheizung, Deckenkühlung, …), welche mit geringen Temperaturunterschieden zwischen Raumluft und Vorlauf auskommen, gut für die Integration erneuerbarer Energiequellen. Wie immer bei der Einbindung erneuerbarer, volatiler Energiequellen ergibt sich das Problem, dass sich das Angebot an Wärme und Kälte nicht immer mit dem tatsächlichen Bedarf deckt. Infolgedessen muss die Energie zwischengespeichert werden.
Das Gebäude als Speicher
Hier kommen Gebäude mit Bauteilaktivierung ins Spiel, die im Gegensatz zu z. B. gewöhnlichen Fußbodenheizungen eine wesentlich höhere thermische Speicherkapazität aufweisen. Neben einem selbstregulierenden Effekt, also dem natürlichen ausgleichenden Effekt zwischen Tag und Nacht auf Grund der hohen thermischen Masse, können die Bauteile aktiv beladen oder vorgeheizt bzw. vorgekühlt werden. So können Verbrauchsprofile an die Verfügbarkeit erneuerbarer Energie angepasst werden.
Herausforderung Regelungstechnik
Das Bild vom Gebäude als Speicher ist aber zu vereinfacht. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Speicher kann nicht frei entschieden werden, wann einem Bauteil Energie zugeführt oder entzogen wird. Im Gegenteil, bereits der reguläre Betrieb eines Gebäudes mit Bauteilaktivierung erfordert eine überlegte Regelung, um den Komfort der Bewohner zu gewährleisten. Durch die langen Zeitkonstanten kann nicht spontan auf Temperaturänderungen in den einzelnen Heiz- und Kühlzonen reagiert werden. Bis die Auswirkung der Aktionen in den Zonen spürbar werden, können durchaus mehrere Stunden vergehen. Dies kann zu einer Überhitzung oder Unterkühlung führen, der wiederum durch die Regelung entgegengewirkt wird, so dass es zu Schwingungen und sogar Instabilität der Regelung kommen kann. In der Praxis wird Bauteilaktivierung daher teilweise bivalent betrieben, also parallel zu einem schneller reagierenden Heiz- und/oder Kühlsystem, und selbst nur sehr langsam geregelt bzw. gesteuert. Typischerweise wird die Vorlauftemperatur abhängig von der Außentemperatur variiert. Die zur Umrechnung verwendete Heizkurve kann angepasst werden und andere Messwerte (z. B. die durchschnittliche Rücklauftemperatur) mitberücksichtigen, um den Komfort zu verbessern. Mit Ventilen kann ein hydraulischer Abgleich vorgenommen werden, um unterschiedliche Randbedingungen in einzelnen thermischen Zonen (z. B. nördliche versus südliche Ausrichtung) zu berücksichtigen. Das Resultat ist aber im Wesentlichen eine Vorsteuerung, die im Mittel zu guten Ergebnissen führen soll.
Will man nun die Speicherwirkung aktiv ausnutzen, kann man zusätzlich zum regulären Betrieb Wärme durch höhere Vorlauftemperaturen oder höhere Massenströme einbringen oder umgekehrt Wärme entziehen; diesem Betrieb als Speicher sind aber durch die Komfortanforderungen der Bewohner*innen Grenzen gesetzt. Das führt dazu, dass man auf geringe Ladeleistungen und Speicherkapazitäten beschränkt ist. Eine bessere Zonenregelung und damit mögliche Speicherbewirtschaftung versprechen sogenannte (modell-)prädiktive Regelungsansätze.
Intelligente Zonenregelung mit Vorausblick – Modellprädiktive Regelungen
Modellprädiktive Regelungen werden vermehrt auch in der Gebäudeautomatisierung eingesetzt und zeigen, je nach Anwendungsgebiet und Ausgangslage, Energieeinsparungen von 15 bis zu 50 Prozent [1] im Vergleich zu herkömmlichen Reglern. Mit Hilfe eines mathematischen Modells wird vorausberechnet , wie sich bestimmte Größen in einem System, z. B. die Temperaturen in einer geregelten Zone, verhalten werden, wenn man das System in einer gewissen Weise ansteuert (z. B. heizt oder kühlt) und es bekannten - oder zumindest abgeschätzten - äußeren Einflüssen unterworfen ist (z. B. Schwankungen in der Außentemperatur und solaren Einstrahlung). Dieses Verhalten wird mit einer Kostenfunktion bewertet, in welche z. B. Komfortverletzungen, Heizungskosten oder CO2-Emissionen einfließen können. Die Betriebsstrategie wird daraufhin gezielt so verändert, dass die Kosten minimal werden. Diese Betriebsstrategie wird dann umgesetzt und in regelmäßigen Abständen basierend auf aktuellen Messwerten neu berechnet. So passt sie sich kontinuierlich den Gegebenheiten an.
Bei der Regelung von Zonen mit aktivierten Bauteilen kann eine modellprädiktive Regelung dazu beitragen, den Komfort auch dann aufrecht zu erhalten, wenn es z. B. zu einem Wetterumsturz kommt und die Außentemperatur rasch absinkt. Dazu werden Wetterprognosen in die Optimierung eingebunden und einer drohenden Absenkung der Innenraumtemperatur rechtzeitig entgegengewirkt. Dabei ist heutzutage der Rechenaufwand, der für die Optimierung notwendig ist, ein geringeres Problem bei der praktischen Umsetzung als die Schwirigkeit, ein hinreichend genaues mathematisches Modell der thermischen Zone zu erhalten, welches überhaupt Prognosen der Temperaturverläufe erlaubt. Zudem ist es wichtig, die äußeren Einflüsse korrekt zu berücksichtigen. Neben der vergleichsweise einfach abschätzbaren Außentemperatur spielen hier die solare Einstrahlung mit diversen Verschattungseffekten (z. B. Jalousien), das Öffnen und Schließen von Fenstern bzw. die Wohnraumlüftung, sowie Energieeinträge durch die Bewohner und die in den Zonen aktiven Geräte eine Rolle. Durch die langen Zeitkonstanten des Systems genügt es aber im Allgemeinen, den Einfluss dieser Größen im Mittel abzuschätzen und zu kompensieren.
Übergeordnete Koordination der Zonenregler zur Speicherbewirtschaftung
Für eine intelligente Bewirtschaftung des Gebäudes als Speicher müssen die einzelnen Zonenregler so von der Energiezentrale koordiniert werden, dass sie innerhalb ihrer Komfortgrenzen für Lastverschiebungen herangezogen werden können. Auch hier kann eine modellprädiktive Regelung eingesetzt werden, um z. B. aus Prognosen des Ertrages aus Photovoltaik oder Solarthermie eine optimale Betriebsweise steuerbarer Erzeuger und eine gewünschte Speicherbewirtschaftung abzuleiten. Die Koordination der vielen Zonen in einem Gebäude, um diese Speicherbewirtschaftung umzusetzen, ist jedoch nicht trivial: Entweder werden der Betrieb der Energiezentrale und sämtlicher Zonen gemeinsam optimiert, was zu einem sehr großen Optimierungsproblem führt und entsprechende Ressourcen benötigt, oder es werden Schnittstellen geschaffen, die eine Abstimmung der Energiezentrale mit den Zonenregelungen ermöglichen. Für eine hohe Skalierbarkeit wären hier marktbasierte Ansätze möglich, in denen die einzelnen Zonenregler für eine Verschiebung ihrer Last „belohnt“ werden. Die übergeordnete Koordination ist jedoch noch in einem frühen Entwicklungsstadium, so dass es hier noch keine standardisierten Protokolle oder Lösungen gibt.
ÖKO-OPT-AKTIV: Mit Simulationsstudien zu einer Potentialabschätzung
Im Forschungsprojekt ÖKO-OPT-AKTIV: Optimiertes Regelung- und Betriebsverhalten thermisch aktivierter Gebäude zukünftiger Stadtquartiere entwickelt BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH eine modellprädiktive Regelung, welche das Koordinationsproblem über eine verteilte Optimierung löst. Hierbei kommuniziert die Energiezentrale mit einzelnen Gebäuden, und diese wiederum mit den einzelnen Zonenreglern über Preissignale. Iterativ wird ein gemeinsamer Fahrplan bestimmt. In Simulationsstudien basierend auf der Software IDA ICE von EQUA Simulation AB, welche vom Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz aufgesetzt wurden, werden gemeinsam mit AEE INTEC die Stärken und Schwächen des Ansatzes untersucht. Ziel ist, die Potenziale von Bauteilaktivierung aufzuzeigen, welche sich mit einer intelligenten Regelung der einzelnen Zonen und einer übergeordneten Koordination realisieren lassen. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz von Bauteilaktivierung nicht notwendigerweise zu einer Energieeinsparung führt, aber sehr wohl ermöglicht, Lasten auf günstigere Zeiten zu verschieben, Leistungsspitzen zu vermeiden, den Eigenverbrauch erneuerbarer Energiequellen zu erhöhen und damit energiegebundene Kosten im Vergleich zu regulären Regelungen um ca. 9 Prozent zu reduzieren [2]. Durch den erhöhten Eigenverbrauch erneuerbarer Energie können weiters CO2 und fossile Energieträger eingespart und somit die Klimabilanz verbessert sowie die Importabhängigkeit reduziert werden. Die finalen Ergebnisse werden in einem öffentlichen Abschlussworkshop [3] vorgestellt und mit Experten diskutiert werden.
Danksagung
Das Projekt ÖKO-OPT-AKTIV wird im Rahmen des Förderprogrammes „Stadt der Zukunft“ durchgeführt. Das Forschungs- und Technologieprogramm "Stadt der Zukunft" wird im Auftrag des BMVIT von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft gemeinsam mit Austria Wirtschaftsservice GesmbH und ÖGUT abgewickelt.
Stellungnahme
"Die Entwicklungen verschiedenster Forschungsprojekte zum Thema Bauteilaktivierung zeigen uns, wie viel Potenzial darin steckt. Wie es sich nun entwickelt hat, ist phänomenal. Wir als Energieversorger können CO2-freien Strom aus Wind und Sonne liefern, damit diese Technologie den besten Nutzen für die Menschen und die Unternehmen schaffen. Wenn die Betonelemente in Gebäuden damit ausgestattet werden, können wir günstiges und umweltfreundliches Heizen und Kühlen garantieren."
Frank Dumeier, Vorstandsvorsitzender der WEB Windenergie AG. Foto: WEB
Literatur
[1] Drgona J., Arroyo J., Figueroa I.C., Blum D., Arendt K., Kim D., Ollé E.P., Oravec J., Wetter M., Vrabie D.L., Helsen L.: All you need to know about model predictive control for buildings. Annual Reviews in Control, 2020
[2] Moser A., Kaisermayer V., Muschick D., Zemann C., Gölles M., Hofer A., Brandl A., Heimrath R., Mach T., Tugores C.R., Ramschak T.: Automatic Thermal Model Identification and Distributed Optimisation for Load Shifting in City Quarters. Eingereicht bei International Journal of Sustainable Energy im Rahmen der ISEC 2022 [3] Freitag, 16. September 2022, Inffeldgasse 11, 8010 Graz. Anmeldung unter https://best-research.eu/content/workshop-anmeldung-oekooptaktiv
Autor*innen
Dipl.-Ing. Dr. Daniel Muschick ist als Senior Researcher Automation & Control bei BEST - Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Valentin Kaisermayer ist Dissertant im Bereich der modellprädiktiven Regelungen mit einem Fokus auf stochastische und verteilte Optimierung bei BEST - Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Andreas Moser ist Dissertant im Bereich der modellprädiktiven Regelungen mit Fokus auf Regelung von Gebäuden, thermischen Zonen und Herausforderungen realer Umsetzungen bei BEST - Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Dr. Markus Gölles ist als Area Manager Automation & Control bei BEST - Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Carina Kunter, MA BA, ist Projektassistentin bei BEST - Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!