Zeitschrift EE

 nt 03 | 2022 Speicheroption Bauteilmasse

Sanierung und Heizungsumstellung mit Außenwandheizung

Heizungsumstellungen von fossilen Energieträgern auf Wärmepumpen im Bestand führen immer zur Frage, ob die bestehenden Heizkörper bei abgesenkten Heizkreistemperaturen und damit reduzierter Wärmeleistung noch verwendbar sind.

In einer Wohnanlage des gemeinnützigen Wiener Bauträgers SOZIALBAU mit 20 Wohnungen wird gegenwärtig im Zuge einer Heizungsumstellung von einem Ölkessel auf eine zentrale Sole-Wasser-Wärmepumpe, gekoppelt mit einer thermischen Sanierung der Gebäudehülle, eine „fassadenintegrierte Bauteilaktivierung“ errichtet: In die Bestandswand werden außenseitig wasserführende Rohre eingefräst und mit dem neuen Vollwärmeschutz überdämmt. Mit dieser Maßnahme werden die Transmissionswärmeverluste über die Fassade abgefangen und zusätzlich wird eine Grundheizleistung in den Raum eingebracht. Die bestehenden Heizkörper werden dadurch entlastet und können auch bei deutlich abgesenkter Vorlauftemperatur in Betrieb bleiben.

Baumaßnahmen am Bestand

Die Baumaßnahmen am Gebäude finden im belegten Zustand statt. Es sind keine Eingriffe in die Wohnungen selbst erforderlich. Das Vorhaben befindet sich gegenwärtig in der Umsetzung. Die aktivierte Fassade ist bereits fertiggestellt und die Wärmepumpe steht kurz vor der Inbetriebnahme.

Herstellung der Heizungsrohre in der Außenwand. Foto: Michael Müller/HOB

Die Maßnahme der fassadenintegrierten Bauteilaktivierung wird von einem Konsortium aus Institute of Building Research, Wiener gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft „FAMILIE“ des SOZIALBAUVerbundes, Universität für Bodenkultur - Institut für Verfahrens- und Energietechnik sowie Vasko+Partner Ingenieure wissenschaftlich begleitet und erhält Forschungsförderung aus dem Programm Stadt der Zukunft, 8. Ausschreibung.

Planungsziele

Übergeordnetes Planungsziel ist die Senkung der maximalen Vorlauftemperatur für die Raumheizung von zuvor 75 °C auf 40 °C bei gleichzeitigem Erhalt der Bestandsheizkörper. Diese Änderung ist mit einer Reduktion der Wärmeabgabeleistung der Plattenradiatoren auf 25 Prozent verbunden, eine Reduktion, die selbst im thermisch sanierten Zustand in zahlreichen Räumen einen Ersatz der Bestandsheizkörper und eine Erneuerung der Anbindeleitungen erfordert hätte. Mit der thermischen Aktivierung der Außenwand soll eine Grundheizlast eingebracht werden, die den Verbleib der Heizkörper ermöglicht.

Zusätzlich soll mit der Außenwandaktivierung im Sommer auch eine Wärmeabfuhr aus den Räumen und somit eine Kühlung erreicht werden.

Energierelevante Eckdaten

Die Wohnanlage wurde im Jahr 1967 errichtet. Die Wohnnutzfläche beträgt 1080 m. Bei der Konstruktion des Gebäudes handelt es sich um eine Stahlbetonbauweise mit tragenden Fassaden aus Mantelbetonsteinen. Der Wärmedurchgangskoeffizient der Bestands-Außenwand beträgt circa 0,9 W/m²K. Der neue Wärmedurchgangskoeffizient nach Wärmedämmung mit 16 cm Steinwolle wird circa 0,20 W/m²K betragen. Der Wärmebedarf für Raumheizung betrug vor der Sanierung 80 kWh/(m²BGFa) bzw. beträgt nach der thermischen Sanierung 32 kWh/(m²BGFa).

Die flächenbezogene maximale Gebäudeheizleistung betrug vor der Sanierung 80 W/m²NF bzw. wird nach der thermischen Sanierung 30 W/m²NF betragen.

Ausführung und Betrieb der fassadenintegrierten Bauteilaktivierung

Die Verrohrung der fassadenintegrierten Bauteilaktivierung besteht aus PEXX Rohren mit einem Außendurchmesser von 2,5 cm, einem Rohrabstand von 30 cm, und wurde in Heizkreisen von 60 bis 135 m Länge verlegt. Die Verlegung erfolgte in Nutfräsungen, die ausgespachtelt wurden und mit 16 cm EPS überdämmt werden.

Im Vorfeld der Ausführung wurden sowohl statische zweidimensionale Wärmestromanalysen durchgeführt als auch dynamische Simulationen mit eindimensionalen Ersatzmodellen des Wärmeflusses in der Fassade. Die Ausführung und Inbetriebnahme wird mit einem Langzeitmonitoring (2 Jahre) der Energieströme inklusive zahlreicher Temperaturmesspunkte in der Fassade begleitet.

Die bisherigen Berechnungen versprechen bei exemplarisch 40 °C Vorlauftemperatur und -10 °C Außentemperatur Wärmestromdichten in die fassadenangrenzenden Räume in der Größenordnung von circa 16 Watt pro Quadratmeter aktivierter Fassadenfläche und somit, umgelegt auf einen Raum von 5 m Raumtiefe circa 6 Watt pro Quadratmeter Raumnutzfläche. Hinsichtlich der Wirkung auf den Raum wird zusätzlich der Transmissionswärmestrom abgefangen, der sich ohne Wandaktivierung eingestellt hätte. Im Fall der gedämmten Wand mit einem U-Wert von circa 0,2 W/m² bei 20 °C Innen und -10 °C Außentemperatur beträgt dieser etwa 6 Watt pro Quadratmeter Fassadenfläche oder etwa 2 Watt pro Quadratmeter Raumnutzfläche. Es kann von der Außenwandaktivierung demnach ein Beitrag zur maximalen Raumheizleistung von rund 9 W/m² und damit ungefähr einem Viertel der gesamten Raumheizlast nach Sanierung erwartet werden.

Heizungsrohre in der Außenwand, vor Herstellung der Wärmedämmung. Foto: IBR&I

Im Kühlfall gelten diese Größenordnungen sinngemäß. Die Anlage ist sowohl auf Freecooling als auch auf aktiven Kühlbetrieb ausgelegt. Es sollen im Betrieb aus dem Zusammenspiel von Stromaufnahme der Umwälzpumpen und Stromaufnahme der Kältemaschine die optimalen Betriebsweisen ermittelt werden.

Temperaturverteilung bei Heizbetrieb und Fassadenaufbau. Quelle: BOKU

Nächste Schritte

Die Anlage wird im Laufe des August den Kühlbetrieb aufnehmen. Die Messergebnisse und Erfahrungen des ersten Betriebsjahres werden laufend ausgewertet und dienen sowohl der Betriebsoptimierung der gegenständlichen Anlage als auch der Erkenntnisableitung für weitere Sanierungen mit Außenwandaktivierung, die noch im Zuge des laufenden Begleitforschungsprojekts geplant sind. Bauherr und Forscher*innen stehen für einen Erfahrungsaustausch jederzeit gerne zur Verfügung.

Stellungnahme

"Gerade einmal ein Jahr ist es her, als wir mit unseren Partnern mit der Förderzusage des Klimaschutzministeriums im Gepäck unser Fassadentemperierungsprojekt in der Großen Neugasse mit Enthusiasmus und Tatendrang gestartet haben. Die Wasserschläuche sind längst in die Fassade eingefräst und verlegt und mit Wärmedämmung abgedeckt, die Wärmepumpe montiert und die Photovoltaikanlage installiert. Seit kurzem läuft die Gebäudetemperierung im Probebetrieb. Funktioniert sie vor allem auch im Sinne eines Mehrs an Wohnkomfort, wollen wir diese innovative Form der Bauteilaktivierung im Zuge weiterer Modernisierungsprojekte zum Einsatz bringen."

Ernst Bach, Direktor für Bestandsmanagement, Sozialbau AG. Foto: Sozialbau AG_Vogus

Autoren

Dipl.-Ing. Dr. Peter Holzer ist Gesellschafter des IBR&I – Institute of Building Research & Innovation. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Michael Müller arbeitet für HOB - Hausservice Objektbewirtschaftungs GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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