2011-02: Solarthermie im Megawattsektor
Wassermanagement
Abbildung 1: Bussumer Wasserturm (Quelle: Michiel Haas)
Das Bussumse Watertorencollectief (BWC) behauptet den nachhaltigsten Bürokomplex der Niederlande errichtet zu haben. Es werden ausschließlich nachhaltige Energiequellen genutzt: Sonne, Wind und … Altspeiseöl! Aber auch die Umnutzung des historischen Wasserturms und die eigene, lokale Wasseraufbereitung haben einen positiven Einfluss auf seinen Nachhaltigkeitsindex.
Bussumer Wasserturm
Von Michiel Haas und Birgit Dulski *
Am 8. September 2010 wurde in Bussum der nachhaltigste Bürokomplex der Niederlande in Betrieb genommen: der renovierte historische Wasserturm samt neu errichtetem Büropavillon des Bussumer Watertoren Collectiefs (BCW).
Es ist noch gar nicht lange her, dass der Bussumer Wasserturm als der „hässlichste Turm der Niederlande“ galt. Diesen Titel verdankte der Turm der Tatsache, dass 1967 die ausdrucksvollen, gemauerten Ornamente rund um das Wasserreservoir entfernt und ersetzt wurden durch einen charakterlosen Stahlmantel. Aus der Entfernung betrachtet erinnerte dieser Aufsatz an den Knopf einer Armbanduhr. Van Kooten und De Bie, ein in den Niederlanden bekanntes Kabarettisten-Duo, zogen in ihrem Film die Niederlande an eben diesem „Knopf“ auf. Diesem Film verdankt der Turm seine Berühmtheit.
Vor kurzem veränderte der Turm jedoch seine Gestalt erneut und wieder ist die Aufmerksamkeit ganz auf ihn gerichtet. Die Initiatoren Michiel Haas (NIBE) und Bob Custers (Architekturbüro Vocus) haben gemeinsam die Herausforderung angenommen, den Turm zu renovieren und um einen CO2-neutralen Büropavillon am Rande des Naturschutzgebiets Goois Natuurreservaat zu erweitern. Gemeinsam gründeten sie das Bussumer Watertoren Collectief (BCW), das nicht nur die Pläne entwickelte, sondern das Projekt auch in eigener Regie ausführte und einen Investor suchte. Obwohl die Baukosten circa 15% über den marktüblichen Preisen liegen, ist es ihnen gelungen, die Mieten auf dem marktüblichen Niveau zu halten.
Baumaßnahmen
Für die Umnutzung des Wasserturms wurde ein neuer Aufsatz mit einem Durchmesser von elf Metern entworfen. In dem Aufsatz, einer Art Kapsel aus Stahl und Glas, befinden sich vier Etagen. Die oberste Etage verfügt über eine rundum laufende Aussichtsplattform. Der Sockel des Turms blieb erhalten. Hier wurden die ursprünglichen, 1967 zugemauerten Fensteröffnungen, wieder freigelegt und mit neuen Fenstern versehen. Heute befinden sich im Sockel ein Fahrstuhlschacht und ein Treppenhaus. Der Betonkern rundum und den Fahrstuhl trägt zum Teil die Lasten des neuen Aufsatzes. Die übrigen Lasten werden auf den Sockel übertragen, der früher die Belastung des Wasserreservoirs trug und über eine beachtliche Tragfähigkeit verfügt. Der vorgefertigte Fahrstuhlschacht und die Stahltreppe wurden in verschiedenen vorgefertigten Teilen in den bestehenden Sockel gehoben. Dies erforderte Präzisionsarbeit, da der Spielraum zwischen dem Einbau und dem sich nach oben verjüngendem Sockel an der schmalsten Stelle nur 20 Millimeter beträgt. Der Aufsatz selbst wurde auf einem Baugelände auf der gegenüberliegenden Straßenseite gebaut und komplett mit Stahlskelett, Stahlbetondecken und Aluminiumfassade mit Hilfe eines Krans auf den Sockel des Wasserturms gehoben. Das Glas wurde anschließend in der Fassade montiert. Für die Reinigung der neuen Glasfassade musste eine spezielle Installation auf dem Dach montiert werden.
Nachhlatigkeitsindex
Neben dem Wasserturm wurde ein neues Bürogebäude mit drei Etagen und einer Parkgarage errichtet. Der gesamte Gebäudekomplex wurde mit dem Rechenmodell GreenCalc+ durchgerechnet. Dies ist ein Modell, mit dem in den Niederlanden bereits seit 1996 zahlreiche Bürogebäude hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit beurteilt wurden. Der Bussumer Wasserturm und der neue Pavillon erzielen mit dieser Methode gemeinsam einen Index von 1028 – und übertreffen damit andere nachhaltige Bauprojekte in den Niederlanden, wie zum Beispiel das Gebäude des WNF, um das Dreifache. Die Vorgaben der niederländischen Norm der Regierungsinstitutionen für nachhaltigen Einkauf werden sogar um das Fünffache übertroffen.
Das Modell GreenCalc+ besteht aus drei Modulen: Materialien, Energie und Wasser. Energieeinsparmaßnahmen haben großen Einfluss auf den Index, aber noch größer ist der Einfluss der lokalen, nachhaltigen Energieerzeugung. Die Kombination aus Solar- und Windenergie mit einer Kraftwärmekopplung, die mit Altspeiseöl betrieben wird, trägt maßgeblich zum Ergebnis bei. Auch in der Kategorie Wasser erzielt das Projekt ein gutes Resultat. Der übliche Trinkwasserverbrauch wurde durch die Reinigung des Abwassers in einem Helofytenfilter und die erneute Nutzung für die Spülung der Toiletten um circa 80% reduziert. Der Filter besteht aus einem Sandbett, in dem sich Feuchtgebietspflanzen wie Rohrkolben, Binsen und Reed befinden. Sauerstoffliebende Bakterien, die von diesen Pflanzen angezogen werden, reinigen das Abwasser, das in das Sandbett geleitet wird. Anschließend fließt das Wasser durch eine Kiesschicht mit Drainageleitungen, und gelangt über eine Inspektionsgrube und ein Reservoir schließlich in das Gebäude. Diese Technik wird bereits in anderen Projekten angewandt, besonders ist jedoch der Umfang des Bussumer Projekts. Soweit den Autoren bekannt ist ein Helofytenfiter in diesem Umfang in Europa einzigartig. In der Kategorie Materialien erzielt das Projekt ein mit anderen niederländischen Projekten vergleichbares Ergebnis. Die ursprünglichen Ambitionen des BCW waren zwar höher, aber alternative Materialien hätten zu deutlich höheren Investitionskosten und damit zu höheren Mietpreisen geführt. Um die Realisierung des Projekts nicht zu gefährden, wurden handelsübliche Baumaterialien gewählt, wie zum Beispiel die Aluminiumfassaden.
Energiequellen
Im Erdgeschoß des Pavillons befindet sich ein geräumiger Technikraum. Unter anderem befindet sich hier der Tank für das Altspeiseöl. Unterm Strich produziert der Bürokomplex mehr Energie als für Heizung, Kühlung, Lüftung, Warmwasseraufbereitung und Elektrizität benötigt würde. Die überschüssige Stromenergie wird an das Stromnetz geliefert, wenn auch gegen eine im Vergleich zu Deutschland nur sehr geringen Vergütung. Der gesamte Stromenergiebedarf wird lokal durch eine Kraftwärmekopplung (circa 110.000 kWh pro Jahr), eine Windturbine auf dem Wasserturm (circa 8.000 kWh pro Jahr) und eine Photovoltaikanlage auf dem begrünten Dach des neuen Büropavillons (die etwa 30 m² PV-Zellen erzeugen circa 3.200 kWh pro Jahr) produziert. Nur in Ausnahmesituationen wird Strom aus dem öffentlichen Netz genutzt. Die Kraftwärmekopplung liefert circa 90% der benötigten Elektrizität und läuft etwa 3.000 Volllaststunden pro Jahr. Der verhältnismäßig kleine Beitrag der Windturbine und der Photovoltaikanlage führt unweigerlich zu der Frage, ob diese Vorrichtungen denn sinnvoll seien. Die Kapazität der Windturbine ist dadurch begrenzt, dass das Mauerwerk des Sockels keine großen Kräfte aufnehmen kann. Trotzdem entschied sich das BWC für die Windturbine, da man bei diesem Projekt gerade die verschiedenen Möglichkeiten der nachhaltigen Energieerzeugung zeigen wollte. Durch die hohen Kosten ist die Windturbine aber bei weitem nicht so rentabel wie die Kraftwärmekopplung und dient vor allem dazu, die Aufmerksamkeit auf dieses besondere nachhaltige Projekt zu lenken.
Die Kraftwärmekopplung produziert neben Elektrizität auch Wärme und Kälte. Im Winter wird die Wärme zur Beheizung der Räume in Wasserturm und Pavillon sowie der Einfahrt der Parkgarage, um gefährliche Glätte zu vermeiden, mittels Betonkernaktivierung gewährleistet. Eventuelle überschüssige Wärme wird im Boden gespeichert. Die Kraftwärmekopplung ist das ganze Jahr über in Betrieb, und auch im Sommer wird die Wärme genutzt: Für die Kühlung ist statt einer traditionellen Kompressionskühlmaschine eine Absorptionskühlmaschine installiert. Diese Kühlmaschine nutzt die Wärme, die durch die Kraftwärmekopplung erzeugt wird, zur Produktion von Kälte mittels eines thermischen Kompressors. Auf diese Weise wird die überschüssige Wärme optimal genutzt ohne den Verbrauch zusätzlicher Elektrizität. Eine Besonderheit der Kraftwärmekopplung ist, dass diese betrieben mit Altspeiseöl wird. Dieser Bio-Brennstoff ist CO2-neutral, da die Pflanzen, aus denen der Brennstoff hergestellt wird, in ihrer Wachstumsphase CO2 aus der Luft gebunden haben. Werden für die Ernte, die Verarbeitung und den Transport von Bio-Brennstoffen fossile Brennstoffe benötigt, so ist die CO2-Neutralität allerdings nicht mehr gegeben. Um diese dennoch zu gewährleisten, produziert die Anlage mehr Elektrizität als das Projekt selbst benötigt. Ein großer Vorteil der Verwendung von Altspeiseöl gegenüber anderen Bio-Brennstoffen ist die Tatsache, dass es sich um ein bereits gebrauchtes Produkt handelt. In den Niederlanden wird Altspeiseöl allerdings vor allem in der Seifenindustrie verwendet, und ist damit eigentlich kein Abfallprodukt. Die Verfügbarkeit von gebrauchtem und gefiltertem Altspeiseöl ist kein Problem: Es ist erhältlich bei verschiedenen Brennstofflieferanten und kostet circa 0,80 Euro pro Liter. Sollte unerwartet ein Mangel an Altspeiseöl auftreten, so kann die Kraftwärmekopplung auch mit Diesel betrieben werden. Und für den Fall, dass die Kraftwärmekopplung und die Wärmepumpe unerwartet doch zu wenig Wärme liefern, steht ein Heizkessel als Back Up zur Verfügung.
Fazit
Beim Wasserturm in Bussum werden zwar erprobte Technologien genutzt, die Kombination der verschiedenen Technologien ist aber einzigartig. Die Kombination von Kraftwärmekopplung, Wärmepumpe, Wärme-Kälte-Speicherung und Absorptionskühlung erforderte eine sorgfältige Abstimmung.
Abbildung 2: Wasserturm mit Nebengebäude (Quelle: Michiel Haas)
Abbildung 3: Helophytenfilter neben den Technikräumen (Quelle: Michiel Haas)
Abbildung 4: Technikraum (Quelle: Michiel Haas)
Abbildung 5: Neuer Leitungsstrang (Quelle: Michiel Haas)
Abbildung 6: Aussichtsplattform (Quelle: Michiel Haas)
Abbildung 7: Bussumer Wasserturm von 1897 bis 1967 (Quelle: BWC)
Abbildung 8: Bussumer Wasserturm von 1967 bis 2010 (Quelle: BWC)
Abbildung 9: Aufsetzen der Stahl-Glas-Kapsel (Quelle: BWC)
*) Birgit Dulski, MSc, ist Mitarbeiterin des Forschungszentrums für NAchhaltigkeit an der Universität Nyenrode sowie Senior Consultant am Niederländischen Institut für Baubiologie und Ökologie (NIBE) Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Prof. Michiel Haas, MSc, PhD, ist Professor für Material und Nachhaltigkeit an der Fakultät für Bauwesen an der Technischen Universität Delft und Vorstandsvorsitzender des Niederländischen Instituts für Baubiologie und Ökologie (NIBE) Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]