Zeitschrift EE

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2001-02: Photovoltaik

Betriebsergebnisse und Projekte

Schon an der Expo 1964 sorgte Wittigkofen als Pioniersiedlung einer richtungsweisenden städtebaulichen Vision für großes Aufsehen. Im Jahre 1991 entstand auf Anregung eines Bewohners der Hochhäuser im Berner Quartier Murifeld-Wittigkofen die Idee, an den Südseiten der 5 Hochhäuser Photovoltaik-Fassadenkraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 450 kWp zu erstellen. Im Januar 2001, also rund 10 Jahre später, konnte die erste Solarfassade mit einer Leistung von knapp 80 kWp eingeweiht werden. Damit wurde in Wittigkofen eine weitere Pionierleistung erbracht: das riesige Fassadenkraftwerk demonstriert auf eindrückliche Weise die Anwendung stromproduzierender Bauelemente.

Solarfassade Wittingkofen Bern - Der steinige Weg zur Realisation einer Vision

Von Michael Döhrbeck*

Für Gebäude über 8 Stockwerke oder 20 m gelten in der Schweiz sehr strenge Brandschutzvorschriften: In der Fassadenkonstruktion dürfen nur Materialien verwendet werden, die nicht oder quasi nicht brennbar sind. Quasi nicht brennbar heißt, das Material darf mit einer Flammenquelle brennen, wird diese entfernt, darf das Material nicht mehr weiter brennen. In einem ersten Brandschutztest wurden handelsübliche Glas-Folien-Laminate getestet: Grosse Gasbrenner wurden direkt auf die Module gerichtet. Dabei wurden die Module innerhalb weniger Minuten zerstört, das Glas explodierte förmlich und fiel herunter.
Zusammen mit einem renommierten Fassadenhersteller wurde nach einer völlig neuen Lösung gesucht. Das Resultat war, dass eine komplette Fassade entwickelt und getestet wurde. Durch konstruktive Maßnahmen wurde verhindert, dass aus einem Fenster austretende Flammen in die Hinterlüftung der Module gelangen können. Außerdem wurden stromgewinnende Baumaterialien verwendet, die keine Kunststoffrückwand haben. Im zweiten Brandversuch wurde ein 1:1 Modell der neu entwickelten Fassade erstellt und ein Wohnungsbrand simuliert. Auf Abbildung 1 erkennt man die Flammen, die aus Tür und Fenster dringen, aber so abgelenkt werden, dass sie die Solarlaminate nicht mehr erreichen. Diese Fassadenprüfung wurde bestanden. Die Module sind so gesichert, dass selbst bei Glasbruch keine Elemente aus der Aufhängung herunterfallen können. Die Module können einzeln ersetzt werden.

Abbildung 1: Simulation eines Wohnungsbrandes in einem Brandversuch. Konstruktive Maßnahmen verhindern, dass die Flammen in die Hinterlüftung der Module gelangen. Die Flammen werden abgelenkt und können die PV-Module nicht erreichen.

Der Besitz der 5 Hochhäuser ist auf je 90 Stockwerkeigentümer verteilt, die grundsätzlich alle ihr Einverständnis geben mussten. In einem langwierigen Prozess wurden diese sorgfältig informiert, bis schließlich im Frühjahr 1999 die Stockwerkeigentümer vom ersten Haus dem Projekt zustimmten. Nebst ästhetischen Überlegungen bestanden vor allem bezüglich "Elektrosmog" Bedenken. Die Bauherrschaft wurde vertraglich zu EMV-Messungen vor und nach Inbetriebsetzung der Anlage verpflichtet. Als Gegenleistung für ihre Bereitschaft wurde die Südfassade isoliert und saniert.

Abbildung 2: Die Anlage besteht aus fünf Hochhäusern mit je neunzig Stockwerken. Bei einer gesamten PV-Fläche von 625 m2 und einer installierten Leistung von 79,8 kWp beträgt der Energieertrag pro Jahr 47.000 kWh.

Ursprünglich wurden verschiedene Varianten von Finanzierungen mit Sponsoren und Greenpricing-Investoren diskutiert. Die Lancierung einer Ökostrombörse durch das Elektrizitätswerk der Stadt Bern (EWB) im November 1997 ermöglichte plötzlich eine konventionelle Finanzierung.
Das EWB schließt 20-jährige Stromabnahme-Verträge mit Solar- und anderen Ökostromproduzenten ab, die ein neues Kraftwerk aus erneuerbaren Energien erstellen möchten; das EWB zahlt bis etwa CHF 1.- (ÖS 8.98, € 0.65) pro kWh (ca. ein 5-faches des normalen Strompreises), wobei dieser Betrag dem Landesindex (Inflation) angepasst wird. Es verkauft diesen Strom ohne Gewinn an diejenigen Kunden weiter, die Ökostrom bestellen und damit bereit sind, den deutlich höheren Betrag (Mischpreis aller Ökostromanlagen) zu bezahlen.
Aufgrund des Stromliefervertrages mit dem Elektrizitätswerk lässt sich eine Amortisationsrechnung über 20 Jahre aufstellen; nach dieser Zeit ist das Kraftwerk abgeschrieben und produziert weiterhin Strom. Die Finanzierung erfolgt konventionell über Investoren und Bankkredite, deren Verpflichtungen mit den monatlichen Vergütungen für den Solarstrom nachgekommen werden kann.

Senkrechte Fläche als PV-Kraftwerk

Im Vergleich des Energieertrags zur installierten Leistung schneiden aufgeständerte Anlagen mit optimaler Himmelsrichtung und Neigung am besten ab: Es lassen sich auch im schweizerischen Mittelland Werte von 900 kWh pro kW und mehr realisieren. Die Energierücklaufzeiten für solche Anlagen in kristalliner Zelltechnologie inkl. Unterkonstruktion und Modulrahmen liegen je nach Studie zwischen 3 und 8 Jahren.
Während sich nun der Photovoltaiker um jede kWh kümmert, entwerfen Architekten die imposantesten Dächer und Fassaden aus Glas, Edelstahl, Aluminium, Marmor, Kunststeinen usw. und kümmern sich wenig um den Energieaufwand der Herstellung. Von Interesse sind Ästhetik, Prestige, Preis und Lebensdauer.
Müssen in der Berechnung der grauen Energie nur diejenigen Elemente berücksichtigt werden, die zusätzlich zur Gebäudehülle benötigt werden, sieht die Energierücklaufzeit auch für scheinbar schlechte Neigungen wie (senkrecht stehende!) Fassaden plötzlich besser aus als für aufgeständerte!
Während optimal ausgerichtete PV-Anlagen den Löwenanteil im Sommer produzieren, ist der Bedarf an elektrischer Energie im Winter höher. Diese Diskrepanz wird spätestens dann relevant, wenn die PV in wenigen Jahrzehnten einen nennenswerten Beitrag zur Gesamtenergieversorgung leisten soll. Mit großen zusätzlichen Stauseen könnten Saisonspeicher geschaffen werden, die wiederum in Umweltkreisen umstritten sind. Bei einer Energieverteilung von je 50% im Sommer- bzw. Winterhalbjahr und der höchsten Leistung im Winter ist ein Fassadenkraftwerk den Bedürfnissen der Stromkunden wesentlich besser angepasst.
Wird also der Gesamtaufwand (inkl. Energiespeicherung) betrachtet, den die Versorgung mit Energie mit sich bringt, lässt sich auch ohne umfassende Berechnungen abschätzen, dass ein Fassadenkraftwerk ebenso gut oder sogar besser abschneidet, als eine aufgeständerte Flachdachanlage.

Fassadenaufbau

Abbildung 3 zeigt schematisch den Aufbau. Die 3 cm Dämmschicht zwischen tragender Betonscheibe (16 cm) und vorgehängtem Betonelement (8 cm) entsprechen natürlich nicht mehr heutigem Standard. Deshalb wurden außen 12 cm zusätzliche Wärmedämmung angebracht, die wiederum von den hinterlüfteten Solarlaminaten geschützt ist.

Abbildung 3: Querschnitt der Südfassade. Die ursprüngliche Fassade erhielt eine zusätzliche Dämmung von 12 cm, zwischen Dämmung und der Modulfläche befindet sich eine Hinterlüftungsebene.

Am unteren Rand der PV-Fläche befinden sich Einlassöffnungen für den Hinterlüftungsraum. Sowohl horizontal als auch vertikal haben die Module einen Abstand zueinander, durch den ebenfalls eine gewisse Luftmenge ausgetauscht werden kann. Zuoberst befinden sich dann wiederum AuslassSchlitze. Damit wird gewährleistet, dass sich die Zellen nicht zu sehr erwärmen.

Elektrische Verschaltung

Grundsätzlich sind je 8 Laminate vertikal miteinander verschaltet, so dass ein Strang genau einen Fünftel der Gesamthöhe abdeckt. Um das Temperaturgefälle auszugleichen, das sich natürlich trotz Hinterlüftung ergibt, ist jeweils ein Strang des untersten Fünftels mit einem des obersten Fünftels in Serie geschaltet, ebenso die Stränge des 2. mit denen des 4. Fünftels. Beide Fassadenhälften sind prinzipiell gleich verschaltet und liefern ihren Strom an einen 30 kW-Wechselrichter. Das eine Stockwerk, um das die rechte Fassadenhälfte länger ist, hat einen eigenen Kleinwechselrichter. Die hohen Spannungen von 550 VDC haben den Vorteil sehr kleiner Verluste und eines allgemein sehr geringen Verkabelungsaufwandes.
Hierfür mussten sowohl die Überbauungsgenossenschaft wie auch die ästhetische Kommission des Bauinspektorrats überzeugt werden. Details wie schwarz abgedeckte Isolation, schwarz beschichtete Befestigungsbleche wurden auf Wunsch des zuständigen Architekten realisiert. Das vorliegende Resultat wird allgemein als Aufwertung der vorher einheitlich betongrauen (fensterlosen) Fassadenbänder gewertet und gelobt.

Bewertung und Aussichten

Obwohl erst ein Fünftel des ursprünglichen Projektes realisiert ist, findet es bereits große internationale Anerkennung. Architektonisch gilt es als technisch und ästhetisch gelungene Fassadensanierung. Da jedoch der Bedarf der Ökostrombörse Bern vorerst abgedeckt ist, müssen für die übrigen 4 Hochhäuser andere Finanzierungsmodelle gefunden werden. Der Durchbruch wäre natürlich eine kostendeckende Vergütung. Das Projekt zeigt, wie im Siedlungsbereich brachliegende Gebäudeflächen ohne zusätzlichen Landverbrauch für die dezentrale Energieerzeugung genutzt werden können.

Adresse Jupiterstr. 9, 3015 Bern
Anzahl PV-Elemente 328 Stk.
Panelabmessungen 1'435 x 1'336 x 9.5 mm
Gesamte PV-Fläche 625 m²
Leistung pro PV-Element 243 Wp
Installierte Leistung (STC) 79.8 kWp
Wechselrichter 2 Stk. Solarmax DC 30 (mit integriertem Modem)
1 Stk. Convert 2000
U-Wert der Fassade vor Sanierung 0.91 W/m²K
U-Wert der Fassade nach Sanierung 0.24 W/m²K
Energieertrag pro Jahr 47.000 kWh
Kosten des Bauwerkes 12.578.174,8 öS (914.056,02 €)

 

Tabelle 1: Technische Daten der Solarfassade Wittigkofen Bern

Bauherr Solarkraftwerke Wittigkofen AG, Bern
Generalunternehmer Atlantis Energie AG, Bern
Planer Atlantis Energie AG / Ing. Büro Hostettler
Solarelemente Atlantis Solar Systeme AG, Bern
Bauleitung SolArte Ingenieurbüro Stucki, Bern
Fassadenbau Gesta AG, Zollikofen
Elektroinstallation Zetter Solar AG, Solothurn

Tabelle 2: Projektbeteiligte

*) Michael Döhrbeck ist Projektkoordnator bei der Atlantis Solar System Ag in Bern, http://www.atlantisenergy.com [^]

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