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Plusenergiegebäude als Mogelpackung?

Ein Plusenergiehaus wäre der logische Marktnachfolger von Niedrigenergie-, Passiv- und Nullenergiehaus. Der Gebäudemarkt ist natürlich interessiert an diesen einfachen Bezeichnungen. Die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie 2010/31/EU fordert den Standard „Niedrigstenergiegebäude“ ein, sowie die Deckung des Bedarfs mit „Energie aus Erneuerbaren Quellen am Standort oder in der Nähe“. Daraus kombinierte der Markt „Effizienz+Energie=Plus“. Dabei ist die Bilanzierung von Plusenergiegebäuden genau genommen eine eigene Wissenschaft – siehe auch den Artikel zu „NZEB“ in dieser Ausgabe. Und die tatsächlich erreichte „Plusenergie“ basiert wie immer auf den zu Grunde liegenden Annahmen und Erwartungen in die Gebäude. Einen kurzen Einblick in die Welt von „Plusenergiegebäuden“ erlaubte ein kleines Forschungsprojet „Smart ABC“.

Abbildung 1: Energiegewinnende Häuser liegen im Trend. Die Beurteilung, ob sie mehr Energie erzeugen als verbrauchen, hängt von der Art der Bilanzierung ab. Quelle AEE INTEC

Smart Active Building and Building Cluster

Plusenergiegebäude erzeugen angeblich mehr Energie als sie benötigen. Eine Präzisierung der Rolle der Energieeffizienz, der Erneuerbaren Energieträger und der eingesetzten Technologien, sowie deren Potenzial tatsächlich „Plusenergie“ zu erreichen erscheint notwendig.

Darüber hinaus gewinnen Primärenergie- und CO2-Bewertungen über den Lebenszyklus von Gebäuden zu recht immer höheren Stellenwert. In dem „Haus der Zukunft Plus“-Projekt „Smart ABC“ wurden daher theoretische Kombinationen verschiedener Energieversorgungstechnologien aus Erneuerbaren Energieträgern für Einzelgebäude und Gebäudeverbände untersucht. Diese Energieversorgungsvarianten wurden am oder in der Nähe der Gebäude lokalisiert, mittels TRNSYS und Polysun energetisch analysiert und bezüglich Ihrer Eignung und Ihres Beitrags zur Primärenergie- und CO2-Emissionsreduktion mittels GEMIS bewertet.

Ziel der Untersuchungen

Ziel der Arbeit war es zu untersuchen, inwieweit die Energieeffizienz und Erneuerbare Energieträger dezentral („am Standort“) oder zentral über ein Mikronetz („in der Nähe“) zur Erreichung eines Plusenergiegebäudes oder -gebäudeverbandes beitragen können. Es wurde analysiert, ob sich „Plusenergie“ auf Basis von stündlicher Bilanzierung von Endenergiebedarf und Erzeugung sowie auf Basis Primärenergie- und Treibhausgas-Bilanz ausgeht. Im Folgenden werden einige Ergebnisse vorgestellt.

Annahmen für die Berechnungen

Für die untersuchten Einfamilien- (EFH) und Mehrfamilien-(MFH)-Wohnhäuser, entweder als Einzelgebäude oder im Verband von jeweils 9 Gebäuden auf quadratischen Grundstücken, wurden zwei unterschiedliche Baustandards, hier als Heizwärmebedarf(HWB)-Standards, angenommen: HWB 10 kWh/m²BGFa und HWB 50 kWh/m²BGFa. Die Energieversorgungsvarianten mit Erneuerbaren Energieträgern wurden in zwei Schwerpunkte unterteilt:

  • Wärmeerzeugung mit Holzpellets- bzw. Hackschnitzelheizung und unterschiedliche Anteile von Solarthermie und Photovoltaik (Biom-ST-PV) oder
  • Erdsonden-Wärmepumpenheizung und unterschiedliche Anteile von Solarthermie und Photovoltaik (WP-ST-PV)

Die solare Deckung durch Solarthermie und Photovoltaik sollte jeweils 50 oder nahezu 100% des Endenergiebedards ausmachen. Kühlbedarf wurde nicht angenommen und daher nicht abgedeckt. Tabelle 1 zeigt die verschiedenen untersuchten Varianten.

Zu den Flächen für die Erzeugung von Wärme aus Solarthermie und Strom aus Photovoltaik wurde festgelegt, die Häuser jeweils genau südorientiert auszurichten. Nur diese genau südorientierten Dach- und Fassadenflächen an den Gebäuden, und nicht auf Grünflächen oder ähnliches, werden mit Solarthermie- oder Photovoltaikflächen belegt und alle „ideal“ - also unverschattet - angenommen. Die Solarthermie sollte vorrangig die Fassadenflächen, dann erst die Dachflächen belegen, und generell, wenn die Flächen knapp werden sollten, Vorrang vor der Photovoltaik haben. Tabelle 2 gibt einen Überblick über Annahmen zu den Gebäuden und Haushalten.

Die Gebäudeverbände wurden so angelegt, dass bei den EFH-Verbänden eine Bebauungsdichte von ca. 0,2 erreicht wurde, bei den MFH-Verbänden etwa 1,2. Das quadratische Grundstück mit den jeweils 9 Gebäuden drauf sollte alle benötigten Erdsonden für die zentrale Wärmepumpennutzung aufnehmen können (Mindestabstand 6 m von Sonde zu Sonde). Die Heizzentrale sollte für alle Varianten auf diesem Grundstück Platz finden und den Hackschnitzelvorrat für ein Jahr beherbergen können. In Abbildung 2 ist ein Beispiel für die Planung eines MFH-Verbands mit HWB 50-Häusern mit der nötigen Heizzentrale dargestellt. Tabelle 3 gibt die Flächenpotenziale auf dem Dach und der Fassade der Heizzentrale für Solarthermienutzung an.

Tabelle 1: Überblick der berechneten Einzelgebäude und Gebäudeverbandsvarianten. Das"Mono" vor EFH und MFH bei den Gebäudeverbandsvarianten meint "monofunktional", h.h. nur Wohnnutzung im Verband, SD meint jeweils den solaren Deckungsgrad übers Jahr bilanziert.

Tabelle 2: Im Projekt "Smart ABC" getroffene Annahmen zu den EFH und MFH; der Haushalts(HH)-Strombedarf und der Warmwasserwärmebedarf WWWB) sind für ambitionierte Durchschnittshaushalte angenommen.

Abbildung 2: Darstellung des MFH-Gebäudeverbands mit Heizzentrale, auf deren Südfassade und südorientiertem Dach Solarthermie-Unterstützung der zentralen Energieversorgung mittels Biomasse-Hackschnitzel oder Erdsonden-Wärmepumpen berchnet wurden. Auf den einzelgebäuden ist am südorientierten Dach und an der südfassade Photovoltaik-Stromerzeugung möglich. (Auszug aus [1])

Tabelle 3: Flächenpotenziale für Solarthermienutzung an der Heizzentrale bei unterschiedlichen Gebäudeverbandsvarianten ("Mono" vor EFH und MFH bei den Varianten meint "monofunktional", d.h. nur Wohnnutzung im Verband.)

Ergebnisse der ökologischen Bewertung

Zur ökologischen Bewertung wurden eigene Primärenergiefaktoren und THG-Emissionsfaktoren mittels GEMIS generiert, die den Primärenergieaufwand des Energieversorgungssystems inkl. Kollektoren, Kessel, Speicher, etc. abbilden. Das Ergebnis der primärenergetischen Analyse war, dass die angenommenen HWB- und Energieversorgungsvarianten, egal ob Einzelgebäude oder Gebäudeverbände und trotz Nutzung Erneuerbarer Energieträger, keine „Plusenergiegebäude“ hervorbringen. Wenn die äquivalenten CO2-Emissionen durch die Energieerzeugung vor Ort egalisiert werden sollten, müsste noch viel mehr Energie aus Erneuerbaren Energieträgern vor Ort oder „in der Nähe“ erzeugt werden, als in dem Projekt durch „ideale“ südorientierte Flächen an den Gebäuden angenommen wurde. So liegt zum Beispiel der spezifische Primärenergiebedarf eines HWB 10 - MFH-Gebäudes noch immer bei mehr als 40 kWh/m²a, obwohl der jährliche Strombedarf zu 100% aus PV gedeckt wird (siehe Abbildung 3).

Der Primärenergiebedarf weist für die Biomasseheizungsvarianten durchwegs ein wenig höhere Werte auf, was vor allem auf der Endlichkeit der Ressource „Biomasse“ beruht. Bei den CO2-Emissionen ergibt sich ein genau umgekehrtes Bild, was mit der höher mit Treibhausgasen (THG) belasteten Energieerzeugung der Wärmepumpenvarianten zusammenhängt (siehe Abbildung 4).

Bei der Bilanzierung auf Endenergieebene ergibt sich folgendes Bild: Wird der Endenergiebedarf auf Personen und nicht Brutto-Grundfläche bezogen, dann sind die meisten MFH-Varianten interessanter und näher dem Nullenergiegebäude als die EFH-Varianten, und nur durch die geringere Verfügbarkeit von südorientierten Flächen am Gebäude benachteiligt (siehe Abbildung 5).

Interessant ist das Ergebnis, dass bei den getroffenen Annahmen eines kleinen Gebäudeverbandes mit je 9 Gebäuden, egal ob EFH- oder MFH-Verbände, die zentrale Energieversorgung über die Mikronetze primärenergetisch und in der CO2-Beurteilung schlechter abschneiden als die dezentrale Energieversorgung der Einzelgebäude.

Abbildung 3: Spezifischer Primärenergiebedarf des MFH-HWB-10 mit 0% ST und 100% PV-Produktion. Quelle: Umweltbundesamt GmbH

Abbildung 4: Spezifische Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten des MFH-HWB-10 mit 0% ST und 100% PV-Produktion. Quelle: Umweltbundesamt GmbH

Abbildung 5: Übersicht der Biom-ST-PV-Varianten, geteilt in EEBel (Endenergiebedarf für elektrische Anwendungen) und EEBth (Endenergiebedarf für Heizen und Warmwasserbereitung), XX ...  keine Flächen für PV verfügbar, X ... geringere Fläche als geplant für PV verfügbar. (Auszug aus [2])

Resümee

Bei näherer Betrachtung der Ergebnisse zeigt sich, dass die großen Herausforderungen der Zukunft bei der Minimierung des (Haushalts-) Strombedarfs (siehe Abbildung 6) und bei der Flächenbereitstellung für die Energieproduktion aus Erneuerbaren Energieträgern oder deren Effizienzsteigerung bei der Produktion liegen. Mit 100% jährlich bilanzierter endenergetischer Deckung mit Solarthermie und Photovoltaik geht sich nur sehr schwer ein Plusenergiegebäude aus. Dies trifft noch stärker zu, wenn der Primärenergiebedarf gegen die stündlich erzeugte Energiemenge von Erneuerbaren Energieträgern „vor Ort“ oder „in der Nähe“ bilanziert wird. Ebenso schwer sind die CO2-äquivalenten Emissionen durch die untersuchten Energieversorgungsvarianten auf null zu reduzieren. Insofern wäre es „gemogelt“, in ökologischem Sinne von Plusenergiegebäuden zu sprechen.

Dezentrale Energieversorgung mit hohem solarem Deckungsanteil ist aber deshalb nicht „out“. Sie ist nahe an der VerbraucherIn und laut dieser Studie eine ökologisch interessante Variante. Der Energie- und Ressourcenaufwand bei der Wärmeverteilung in Wärmenetzen ist primärenergetisch nicht so einfach auszugleichen. Trotzdem wird in vielen Fällen die Nutzung von Wärme- und/oder Stromnetzen zur Verteilung von Überschüssen aus Erneuerbaren Energie-Anlagen „in der Nähe“ notwendig und sinnvoll sein, um (Nahe-)Null- oder Plusenergie zu erreichen. Dazu sollte es aber weitere Studien und Untersuchungen geben.

Einen Rückblick auf das Diskussionsforum „Plusenergiegebäude als Mogelpackung?“ sowie die Präsentationen dazu gibt es unter der Rubrik „News“ auf: www.aee-intec.at

Abbildung 6: Beispiel für den großen Anteil an Haushaltsstrombedarf (HHSB) der berechneten Gebäude, hier für des EFH mit HWB-10 ohne Solarnutzung (Vgl. Tabelle 2)

Literatur

  1. Mandl, A.: Energetische Bewertung von Energieversorgungskonzepten für Einzelgebäude und Gebäudeverbände. Masterarbeit, Dezember 2013
  2. Ullmann, J.: Bewertung von solaren Energieversorgungskonzepten für Gebäude und Gebäudeverbände. Masterarbeit, Oktober 2013

ProjektpartnerInnen

  • Dr. Susanne Geissler (ÖGNB)
  • DI Johannes Fechner (17&4 Organisationsberatungs GmbH)
  • DI Werner Pölz (Umweltbundesamt GmbH)

Masterarbeiten im Rahmen des Projektes:

  • Studierende: Gusti Mandl, Jürgen Ullmann und Peter Trauner
  • Masterarbeitsbetreuende: DI Thomas Zelger (IBO) und DI Ernst Blümel (FH Burgenland GmbH)

Autorenbeschreibung

DI Armin Knotzer ist Mitarbeiter von AEE INTEC, Bereich Nachhaltige Gebäude (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Logos der Förderer

Dieses Projekt wurde im Rahmen von Haus der Zukunft Plus gefördert. Haus der Zukunft Plus ist ein Forschungs- und Technologieprogramm des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. Es wird im Auftrag des BMVIT von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft gemeinsam mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH und der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik ÖGUT abgewickelt.

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