Solare Prozesswärme findet neue Anwendungsgebiete
von Lukas Wimmer, Bastian Schmitt und Roland Heinzen
Trotz wissenschaftlicher Begleitforschung, sinkender Anlagenpreise und verbesserter staatlicher Förderung, hat es die solare Prozesswärme in Zeiten erheblich sinkender Energiepreise schwer. Neue Einsatzbereiche, die aufgrund niedriger Integrationstemperaturen und einfacher Anlagenkonzepte kurze Amortisationszeiten ermöglichen, können dieser Entwicklung entgegenwirken.
Hoher Energiebedarf in der Gasversorgung
Eines dieser aussichtsreichen Anwendungsgebiete ist die Nutzung von Solarthermie zur Vorwärmung von Erdgas in sogenannten Gasdruckregelanlagen. Für die komplette Aufbereitung und Verteilung zwischen der Lagerstätte und dem Endkunden wird durchschnittlich ca. 10 % der im Erdgas enthaltenen Energie benötigt. Die Aufbereitung, Lagerung und Verdichtung für den Transport, bzw. Weitertransport nehmen davon den größten Anteil ein.
Da die Versorgung von Endkunden mit Erdgas meist auf einem niedrigeren Druck erfolgt als beim Transport in Fernleitungen, muss das Gas zuvor entspannt werden. Bei dieser Druckreduktion kommt es aufgrund des Joule-Thomson Effektes zu einer Verringerung der Gastemperatur in einem Umfang von etwa 0,4 K/bar Druckabsenkung. Damit die technischen Versorgungseinrichtungen nicht vereisen, fällt daher in Gasdruckregelanlagen ein Wärmebedarf auf einem tendenziell sehr niedrigen Temperaturniveau an.
Im Durchschnitt werden etwa 0,1 bis 0,2 % der im Gas enthaltenen Energie für diese Vorwärmung benötigt, woraus sich ein teils enormer jährlicher Energiebedarf für Gasdruckregelanlagen ergeben kann. Die Wärme wird überwiegend mit herkömmlichen Gaskesseln bereitgestellt. Da die zur Vorwärmung benötigten Gasmengen vom Netzbetreiber zu Endkundenpreisen beschafft werden müssen und häufig auch im Sommer Wärme benötigt wird, ist die Nutzung von thermischen Solaranlagen für die Gasentspannung sehr attraktiv.
Warum Solarthermie und wo liegen die Herausforderungen?
Eine Gasdruckregelanlage, die eine Stadt mit 100.000 Einwohnern und ansässiger Industrie versorgt, hat in etwa einen Gaseigenverbrauch von 1,5 GWh pro Jahr. Die Dimensionierung einer entsprechenden Solarthermieanlage ist wie bei anderen Anwendungen auch erheblich vom Lastprofil abhängig. Die dabei relevante sommerliche Schwachlast wird bei Gasdruckregelanlagen von allen nachgeschalteten Verbrauchern (Haushalten, Industrie, Gewerbe) beeinflusst. Neben dieser Grundlast erhöht sich der Verbrauch in den Wintermonaten mit der Bereitstellung des Erdgases für Heizzwecke erheblich. Bei einer Gasdruckregelanlage beispielsweise, welche überwiegend Industriebetriebe versorgt, kann die Grundlast 1/3 der Spitzenlast betragen. Neben dem teils signifikanten sommerlichen Wärmebedarf begünstigt das sehr niedrige Temperaturniveau von 20 bis 60 °C die Integration von Solarwärme. Diese kann dabei entweder direkt zur Gaserwärmung oder zur Temperaturanhebung des Rücklaufs der konventionellen Gaskessel genutzt werden (Abbildung 1). Durch das niedrige Temperaturniveau, in Kombination mit dem teils erheblichen sommerlichen Wärmebedarf, können hohe Nutzungsgrade der Solaranlage erzielt werden.
Einschränkend wirkt, dass Gasdruckregelanlagen meist sehr platzsparend dimensioniert und die zugehörigen Grundstücke sehr klein sind, was die potentiellen Flächen für Kollektoren einschränkt. Zudem können Teile des Gebäudes aufgrund von Explosionsschutzanforderungen oftmals nicht als Aufstellungsraum für die benötigte Peripherie genutzt werden. Neben diesen ortsgebundenen Einschränkungen muss zudem das Integrationskonzept zu jedem Zeitpunkt die Versorgungssicherheit des Gasnetzbetreibers gewährleisten.
Solarthermieanlagen für Gasdruckregelanlagen sind wirtschaftlicher mit zunehmendem Anteil an versorgten Industriekunden und größeren Grundstücken. Daneben wirkt sich eine geringe Druckdifferenz positiv auf die Erträge der Solaranlage aus, da die zu realisierende Vorlauftemperatur und damit auch die Integrationstemperatur mit dieser Differenz sinken. Ein guter Zeitpunkt für die Integration einer Solaranlage bietet sich im Zuge der Erneuerung der Heizungsanlage. Jedoch ist der Eingriff auch ohne diesen Umstand unter Berücksichtigung der technischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen minimal invasiv.
Realisierte und geplante Energiekonzepte bei drei Gasdruckregelanlagen
Bereits Ende 2012 wurde eine Gasdruckregelanlage nahezu vollständig auf eine regenerative Wärmebereitstellung umgestellt (Abbildung 2). In dieser Gasdruckregelanlage wird Erdgas von 90 bar auf 16 bar hauptsächlich für die Versorgung von Einwohnern Mittelhessens entspannt. Daneben wird ein großer Industriebetrieb versorgt, welcher ganzjährig einen ausreichend hohen Gasverbrauch hat und damit eine entsprechend notwendige Grundlast in der Gasdruckregelanlage induziert. Seit der Umstellung werden jährlich über 80 % des Gesamtwärmebedarfs durch Solarthermie (ca. 200 MWh/a) und Abwärme einer Biogasanlage (ca. 900 MWh/a) gedeckt. Bau und Betrieb der Solaranlage, sowie die Einbindung der Biogasanlagen-Abwärme erfolgt über einen Contractor. Der Wärmepreis liegt dabei, vertraglich bedingt, immer unter dem aktuellen Gaswärmepreis. Neben den damit verbundenen finanziellen Vorteilen für den Gasnetzbetreiber werden außerdem rund 286 t Kohlendioxid jährlich eingespart. Seit der Einweihung befindet sich die Solaranlage in einem störungsfreien Betrieb und erzielt konstant hohe Erträge (der solare Nutzwärmeertrag lag 2015 bei 610 kWh/m²ap). Für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu Spitzenzeiten sind an diesem Standort Erdgaskessel mit einer Gesamtleistung von 864 kW installiert.
Ein weiteres innovatives Konzept wurde 2014/2015 bei der Gasdruckregelanlage Neu-Eichenberg realisiert (Abbildung 3). Da diese Gasdruckregelanlage über eine geringere sommerliche Grundlast verfügt, stellte eine reine Aufdachanlage mit 125 m² Kollektorfläche die wirtschaftlichste Auslegung dar. Analog zu der Anlage in Großseelheim wurden sämtliche technische Einrichtungen sowie der Pufferspeicher in einem Seecontainer installiert. Erweitert wurde das erneuerbare Energiekonzept um drei Gasabsorptions-Wärmepumpen mit jeweils 41 kW. In diesem Fall erfolgte die Umsetzung des innovativen Konzepts durch eine Eigeninvestition des Netzbetreibers.
Aufgrund der äußerst effizienten Anwendung der Kombipakete Solar + Biomasse sowie Solar + Gas-Wärmepumpe, wurden auf Basis der zwei umgerüsteten Gasdruckregelanlage weitere Energiekonzepte für Bestandsanlagen erarbeitet. Im ersten Quartal 2016 wird nun eine dritte Gasdruckregelanlage mit Solaranlage + Gas-Wärmepumpe ausgestattet. Bei dieser Anlage handelt es sich um einen Neubau, bei der bereits während der Planungsphase ein separater Gas-Wärmeübertrager für die Solaranlage berücksichtigt wurde. Die realisierten Anlagen haben bewiesen, dass sich Solarthermie sowohl im Bestand als auch im Neubau sicher und ertragreich integrieren lässt. Die Realisierung dieser Konzepte kann sowohl mittels Eigeninvestition des Netzbetreibers als auch im Contracting erfolgreich umgesetzt werden.
Nutzen für den Energieversorger und Investitionsmodelle
Im Vergleich zu den Wärmegestehungskosten der heute typischerweise eingesetzten Gaskesselkaskaden lässt sich die für die Gasentspannung benötigte Wärme mit solarthermischen Anlagen deutlich günstiger erzeugen. Im Fokus des Gasnetzbetreibers steht vor allem die Versorgungssicherheit seiner Anlagen. Durch die Vorschaltung solarthermischer oder anderer regenerativer Wärmeerzeugungsanlagen kann der Gasnetzbetreiber beides erreichen: einen sicheren Anlagenbetrieb sowie deutliche Betriebskosteneinsparungen. Bei der Entscheidung, ob eine Eigeninvestition oder eine Contracting-Lösung gewählt wird, fließen die Investitionsrandbedingungen der Netzregulation mit ein. In beiden Fällen werden betriebswirtschaftliche Vorteile, Ressourcenschonung und Emissionsminderung erreicht. Zudem können bei der Anlagenintegration häufig weitere Effizienzmaßnahmen in der Betriebs- und Regelungstechnik im Anlagenbestand identifiziert und umgesetzt werden.
Neben der Einsparung von Betriebskosten und Verringerung des Kohlendioxidausstoßes können regenerative Wärmeerzeugungsanlagen in der Gasinfrastruktur als Leuchtturmprojekte für die zumeist kommunalen Energieversorger genutzt werden. Der Einsatz von erneuerbaren Energien beweist ihren kommunalen und durch Bürgerinteresse geprägten Anteilseignern den eigenen Beitrag zur Energiewende.
Personenbeschreibung der Autoren
M.Sc. Lukas Wimmer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Prozesswärme am Fachgebiet Solar- und Anlagentechnik der Universität Kassel (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).
Dr.-Ing. Bastian Schmitt ist Leiter der Forschungsgruppe Prozesswärme am Fachgebiet Solar- und Anlagentechnik der Universität Kassel (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).
Dipl.-Ing. Roland Heinzen ist Geschäftsführer der Enertracting GmbH in Kassel (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!). Die Firma plant, baut und betreibt große solarthermische Anlagen im Bereich Industrie, Gewerbe und Wohnanlagen.