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BIG Solar Graz: 500.000 m² Solarkollektoren für 20 % Solaranteil bei Grazer Fernwärme

von Hannes Poier, Christian Holter, Patrick Reiter und Robert Söll

Solarthermie hat bislang nicht nennenswert den Einzug in Großstädte geschafft. Bisherige Nutzungen beschränken sich auf dezentrale Lösungen für Warmwasser und Heizung oder auf Einspeisungen in Wärmenetze zur Unterstützung der Sommerlast. Die größte solarthermische Anlage steht in der dänischen Stadt Vojens und deckt mit einer Kollektorfläche von 70.000 m² und einem Erdbeckenwärmespeicher von 200.000 m³ fast die Hälfte des Fernwärmebedarfs ab.

Vorbild Dänemark

Für Graz - seit mehr als einem Jahrzehnt Vorreiter im Bereich der solarthermischen Fernwärmeeinspeisung - wurde von Energie Steiermark und SOLID ein ähnliches Konzept in größerer Dimension detailliert geprüft.

Seit vielen Jahren wird auf internationalen Solarthermiekonferenzen auf das große Vorbild Dänemark hingewiesen. Dänemark hat es bis dato als einziges Land geschafft, die solarthermische Fernwärmeeinspeisung in großem Stil salonfähig zu machen und zeigt mit Großanlagen im zweistelligen Megawatt-Bereich sehr deutlich, wie unter günstigen Rahmenbedingungen ein beträchtlicher Anteil des Wärmebedarfs in Städten durch erneuerbare Energie abgedeckt werden kann. Voraussetzung dafür sind einerseits die in Dänemarks Klein- und Mittelstädten deutlich niedrigeren Vor- und Rücklauftemperaturen in Fernwärmenetzen, andererseits erleichtern hohe Steuern auf fossile Energieträger die Wirtschaftlichkeit der Anlagen.

Leider konnte dieses Erfolgskonzept, mit dem unsere skandinavischen Freunde nicht nur CO2, sondern auch eine Menge Geld sparen,  in anderen Ländern noch nicht umgesetzt werden.

Ausgangsituation Graz

Derzeit werden rund 80% der Energie für die Grazer Fernwärme durch Abwärme aus fossil betriebenen Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK) im Kraftwerkspark Mellach bereitgestellt. Jedoch ließ der Betreiber, die Verbund-austrian Thermal Power AG (ATP), im Mai 2014 verlautbaren, den Kraftwerkspark zu schließen. Die modernen Gas- und Dampf (GuD)-Kombikraftwerke können aufgrund der aktuellen Situation am europäischen Elektrizitätsmarkt nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden, während das noch in Betrieb befindliche Kohlekraftwerk bald am Ende seiner technischen Lebensdauer angelangt ist. Mit Ende des Liefervertrages könnte der Kraftwerkspark 2020 außer Betrieb gehen. Aus diesem Grund gründete die Stadt Graz 2013 gemeinsam mit den wichtigsten lokalen Energieversorgern ein Projektteam mit dem Ziel, eine ökologisch nachhaltige, versorgungssichere und leistbare Wärmebereitstellung für das Fernwärmenetz ab 2020 zu arrangieren. In einer Reihe von Workshops mit Beiträgen von über 200 Experten wurden verschiedene alternative Energiekonzepte vorgestellt.

Im Juni 2015 vereinbarten SOLID und Energie Steiermark, gemeinsam mit der Grazer Energieagentur eine detaillierte Machbarkeitsstudie zu erstellen. Unterstützt wurde die Studie von der Stadt Graz, dem Land Steiermark, dem BMVIT und dem Klima- und Energiefonds. Ziel der Machbarkeitsstudie war es, die Umsetzung eines  Großsolaranlagenkonzeptes mit größtmöglicher solarer Einspeisung ins Grazer Fernwärmenetz zu überprüfen. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurden nicht nur technische und wirtschaftliche Aspekte des Konzeptes für Graz geprüft, sondern auch mögliche Flächen für das Kollektorfeld und den Speicher, rechtliche Rahmenbedingungen und mögliche Finanzierungen für eine Umsetzung analysiert.

Machbarkeitsstudie – BIG Solar Graz

Basis für die Machbarkeitsstudie und deren Analysen bilden die Rahmenbedingungen des Grazer Fernwärmenetzes. Die typischen, hohen Netztemperaturen, im Fall von Graz bis zu 120 °C, stellen eine große Herausforderung für solarthermische Versorgung dar. Bei einer durchschnittlichen Netzrücklauftemperatur von rund 60 °C kann ein großer Teil der Solarenergie nicht direkt eingespeist werden. Um die Zieltemperatur von über 100 °C zu erreichen, sind Nachheizsysteme notwendig. Die zweite große Herausforderung für eine solarthermische Bereitstellung von Wärme ist der zeitliche Versatz zwischen Verfügbarkeit der Energie und dem Bedarf der Wärme. Das typische Verhältnis des Wärmebedarfs zwischen Sommer (Juli, August) und Winter (Dezember, Jänner) liegt in Österreich bei 1:10 bis 1:20 (Im Vergleich dazu liegt das dänische Verhältnis bei 1:5). Des Weiteren werden außerstädtische Bereiche des Grazer Fernwärmenetzes im Sommer vom Netz getrennt. Dadurch steigt dieses Verhältnis auf 1:30. In den Monaten Dezember und Jänner ist der Bedarf also 30 Mal so groß wie im Juli und August. Für den Solarertrag stellt sich die Verteilung genau entgegengesetzt dar. Die Erträge in den beiden Sommermonaten sind (bei derzeitigen Einspeisetemperaturen) 20 ‑ 30 Mal so hoch verglichen mit den beiden Wintermonaten.

Trotz Vorreiterrolle im Bereich solarthermischer Fernwärmeeinspeisung liegt in Graz der derzeitige Beitrag der eingespeisten Solarenergie zum tatsächlichen Bedarf über das Jahr betrachtet bei weniger als 1 %. Somit war bei den bisherigen Solaranlagen die zeitliche Diskrepanz zwischen Energiebedarf und -angebot kein wesentlicher Faktor. Wenn nun der Solarthermie eine wesentliche Rolle im Erzeugermix zukommen soll und von solaren Beiträgen im zweistelligen Prozentbereich gesprochen wird, sind die Herausforderungen an ein entsprechendes Konzept ganz anderer Natur. Die Energie muss vom Sommer in den Winter transferiert werden. Um bei diesem Unterfangen wirtschaftlich zu bleiben, müssen die damit verbundenen Verluste so gering wie möglich gehalten werden. Je größer ein Speicher dimensioniert wird, desto geringere Energieverluste sind in Relation zu erwarten, da sich das Verhältnis von Volumen (Speicherkapazität) zu Oberfläche (Verlustäquivalent) mit der Größe zu Gunsten des Volumens entwickelt. Somit spielt eine größere Dimension nicht nur aufgrund des Economy of Scale Effektes, sondern auch aus energetischen Gründen eine zentrale Rolle bei der Wirtschaftlichkeit eines solchen Projektes. Anders betrachtet kann das Konzept erst ab einer bestimmten Größe wirtschaftlich konkurrenzfähig sein. Ein weiterer, wesentlicher Faktor für die Machbarkeit eines solchen Projektes ist die Verfügbarkeit von Grund. Bei einem Ziel von rund 20 % solarer Deckung des Fernwärmebedarfs handelt es sich um rund 500.000 m² Solarkollektoren. Dafür ist eine Grundfläche von rund 70 bis 80 ha (rund 100 Fußballfelder) notwendig. Solch eine freie Fläche in einem dichten Siedlungsgebiet zu finden ist natürlich nahezu unmöglich, aber es gibt gut geeignete Flächen im Umland der Stadt. Gemeinsam mit Möglichkeiten für die Speicherumsetzung wurden verschiedene Standorte validiert, unterschiedliche Bauvarianten der Systemkomponenten geprüft und bautechnische Fragen geklärt. Grundsätzlich wird eine sehr kompakte Anordnung sämtlicher Systemkomponenten angestrebt und Kollektorfelder sowie Speicher möglichst nahe an der bestehenden Fernwärmeleitung zur optimalen Systemnutzung aufgestellt.

Ergebnisse der Machbarkeitsstudie

Erste Berechnungen zur Vordimensionierung auf Basis der derzeitigen Last- und Temperaturprofile ergaben einen maximal möglichen solaren Deckungsgrad von etwas mehr als 30 % (über 300 GWh). Um dies zu verifizieren und ein realistisches technisch-ökonomisches Optimum zu erhalten, wurden detaillierte Simulationsrechnungen gemeinsam mit dem dänischen Spezialisten Planenergi durchgeführt. In einer Parameterstudie wurden verschiedenste Varianten durchgespielt, um ein optimales Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen eines solchen Großsolarsystems zu erhalten. Beispielhaft sind in Abbildung 1 die Ergebnisse für ein Szenario ausgewiesen. Mit der dargestellten Systemkonfiguration (große farbige Zahlen) tragen pro Jahr mehr als 240 GWh an solarthermisch generierter Wärme zur Fernwärmeaufbringung der Stadt Graz bei 8entspricht rund 20 % des jährlichen Gesamt-Fernwärmebedarfs). Von den 240 GWh können 64 GWh direkt genutzt werden und 176 GWh werden mittels Absorptionswärmepumpe auf ein brauchbares, d.h. höheres, Temperaturniveau angehoben. Die Bandbreiten der simulierten Varianten werden in Abbildung 1 durch die kleinen Zahlen dargestellt.

Abbildung 1: Konzeptschema Big Solar Graz mit Simulationsergebnisbeispiel bei rund 20 % solarer Deckung. (Jahresenergiemengen und jederzeit lieferbare Leistung)

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Simulationsrechnungen stellt die Bandbreite dar, in der das Solarsystem nahezu konstante Wärmepreise liefert. Unter Berücksichtigung der derzeit vorherrschenden Bedingungen in Graz – wie zum Beispiel Netztemperaturen, aber auch verfügbaren Flächen und zukünftigem Ausbau der Abwärmenutzung – kann mit einem Kollektorfeld zwischen 150.000 m² bis zu 650.000 m² ein wirtschaftlich annähernd vergleichbares Gesamtsystem gewährleistet werden. Das ökonomische Optimum wurde bei einer Fläche des Solarfeldes von 450.000 m² und einem Volumen des Erdbeckenspeichers von 1.800.000 m³ gefunden. Für dieses Optimum zeigt Abbildung 2 die Verteilung der erzeugten Energiemengen für jeden Monat. In den Sommermonaten Juli und August ist die Fernwärmetransportleitung außer Betrieb, der Bedarf in Graz wird durch lokale Erzeuger – wie z.B. durch Abwärme aus dem Stahlwerk Marienhütte – gedeckt. Dies ist im gezeigten Profil durch fehlende graue Balken (Bedarf) dargestellt. Die hellblauen Balken im Sommer und Herbst stellen die Verluste des Erdbeckenspeichers dar. Die aus dem BIG-Solar-Konzept gedeckten Energiemengen werden orange (direkte Solare Nutzung) und gestreift (Wärmepumpenanteile) dargestellt. Die Solarenergie wird größtenteils zeitlich versetzt durch Speicher und Wärmepumpen bereitgestellt. Das Zusammenspiel der Technologien in einem Systemkonzept eröffnet ein neues, weitaus größeres Potential für die Deckung unseres Wärmeenergiebedarfes durch erneuerbare und emissionsfreie Solarenergie.

Abbildung 2 Monatliche Verteilung der gelieferten Energiemengen, Simulationsergebnis bei 450 000  m² Solarkollektorfläche, 1,8 Mio m³ Erdbeckenwärmespeicher und 100 MW Wärmepumpenleistung. Berücksichtigt wird eine mögliche Einspeisung von industrieller Abwärme (blau), direkt eingespeiste Solarenergie wird orange, der über die Wärmepumpe nachgeheizte Solaranteil gestreift dargestellt. Gelb beeinhaltet alle restlichen Erzeuger, wobei der Großteil aus gasgefeuerten Großanlagen kommen wird, inkludiert sind aber auch verschiedene kleinere Erzeuger (z.B. Wärmeauskopplungen aus Marienhütte od. Farina Mühle)

Resümee

Solarthermie kann, wie man in Dänemark sieht, einen signifikanten Teil der Fernwärme decken. Bereits jetzt werden dort solare Fernwärmeeinspeisungen mit über 50 % Deckungsgradziel ausgelegt und umgesetzt, und wie bei der Anlagengröße, wo ein Rekord dem nächsten folgt, werden immer höhere Deckungsgrade angepeilt. Solarenergie leistet somit einen wichtigen Beitrag zu einer ökologisch nachhaltigen, versorgungssicheren und leistbaren Wärmebereitstellung. Das Big-Solar- Konzept ist mit Rücksicht auf Rahmenbedingungen wie Netztemperaturen oder Abwärmepotenzial gut auf andere Städte mit Fernwärmeversorgung übertragbar. Unter aktuellen Rahmenbedingungen sind in Zentraleuropa zwar „nur“ Solaranteile von etwa 20-25 % möglich, dies ergibt aber in absoluten Wärmemengen gewaltige Zahlen. Mit dieser Voraussetzung lässt sich die zukünftige Wärmebereitstellung für Städte nachhaltig verändern und somit kann ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende geleistet werden.

Die Umsetzung des hier beschriebenen Big-Solar-Konzeptes würde nicht nur ein Teil der zukünftigen Wärmebereitstellung für Graz sichern, sondern auch die Bedeutung von solarer Fernwärmeeinspeisung unterstreichen. Die abgeschlossene Studie zeigt, dass ein solches Konzept technisch und wirtschaftlich realisierbar ist. Es birgt großes Potenzial eines der globalen Vorzeigeprojekte im Kampf gegen Klimawandel und für eine selbstbestimmte, unabhängige und langlebige Energiezukunft zu werden.

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Personenbeschreibung der Autoren

Hannes Poier ist bei S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH in Forschung und Entwicklung tätig (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Christian Holter ist Geschäftsführer von S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH.

Patrick Reiter und Robert Söll sind bei S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH in Projektentwicklung, Forschung und Entwicklung tätig.

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