Neue Wege in der Partizipation
Susanne Hofmann hat mit der Gründung der Baupiloten im Jahr 2001 ein Büro etabliert, das querdenkt und trotzdem bequem baut: Gute Architektur, Energieeffizienz und der kreative Einbezug von Nutzenden
sind auch mit knappen Budgetrahmen zu verwirklichen. Die Schulsanierungen der Baupiloten zeugen von einem neuen Verständnis der Rolle von Architektinnen und Architekten. „Architektur darf Spaß machen“, so Susanne Hofmann. In einem Interview mit Sonja Geier erklärt Susanne Hofmann, wie alle davon profitieren und vor allem mit welchen Argumenten man Bauherren überzeugt.
Abbildung 1: Kindertagesstätte Nido Piccolo, Berlin. Umbau und Fassadensanierung 2009‐2010.
Die bunten Erker sind das Ergebnis des Wunsches der Kinder in einem „Baumnest“ zu sein oder sich in den Bäumen verstecken zu können. Quelle: rechts Die Baupiloten, links Jan Bitter
Die Rolle des Architekten und Planers
Die Situation, die Rolle der ArchitektInnen ist in Europa sehr unterschiedlich. Die Bandbreite reicht vom „Stararchitekten“, der sich selbst verwirklicht und auch Urheberrechte auf sein Werk beansprucht, bis hin zu den Architekten, die ohne wirklichen Einfluss auf die Gestaltung und Materialisierung des Objektes zu reinen „Zeichengehilfen“ in der Ansicht von Alison Brooks ([1] S. 80) verkommen. Wie sieht die Situation in Ihrem Kontext / Arbeitsumfeld aus? Wie weit reicht der Einfluss, dass ArchitektInnen mit ihrem Schaffen auch gesellschaftlich‐politische Statements setzen?
Susanne Hofmann: Ich habe das Gefühl, dass die Architektur, die Baukultur im Moment ein wenig in den Hintergrund gedrängt wird. Der gute Architekt ist derjenige, der die technische Seite im Griff hat und mit Zahlen jonglieren kann. Viele Bauherren haben die Priorität, dass ein Objekt realisiert wird, das (technisch) funktioniert und kostengünstig ist. Diese Erfahrung machen wir jetzt bei Wohnungsbaugesellschaften sehr häufig. Es zählt wieviel kostet der Quadratmeter und basta. Es besteht nicht das große Interesse, dass hier gesellschaftspolitisch gut gehandelt wird.
Wie ist Ihre Reaktion darauf? Wie weit wollen Sie persönlich dies auch tun?
Susanne Hofmann: Wir sind jetzt öfters zu Gutachten eingeladen und dabei versuchen wir herauszustellen, was gesellschaftspolitisch wichtig ist. Der Schulbau ist in Berlin im Moment weniger aktuell. Aktuell ist der bezahlbare Wohnungsbau die große Herausforderung. Hier vertreten wir den Standpunkt, dass man mit dem Baupreis nicht weiter nach unten gehen kann. Es gilt neue Lösungen zu entwickeln: Wie zum Beispiel durch das Hinterfragen des Verhältnisses von privaten und gemeinschaftlichen Räumlichkeiten. Man geht damit auf die veränderten Situationen heutzutage ein.
Im Schulbau kann man es aber ganz genau so sehen. Wenn es um die Sanierungen geht, dann will man, dass die Toiletten und alles Weitere funktionieren. Die reine Funktionalität ist natürlich wichtig. Aber man muss es dennoch im Kontext des Gebäudes oder des gesamten Projektes sehen.
Viele vergessen oder berücksichtigen nicht, dass Schule sich mit einer sich verändernden Gesellschaft auch verändert. Dass damit die Kinder heute auch anders ausgebildet werden müssen als damals. Dass da vielleicht auch andere Räumlichkeiten hilfreich sind, dessen sind sich viele nicht bewusst.
Abbildung 2: Susanne Hofmann. Bild: Rosa Merk
Ist diese Message vielleicht von Seiten der Erziehungspolitik noch nicht angekommen?
Susanne Hofmann: Es ist noch nicht angekommen, dass es dieses Zusammenspiel gibt zwischen Bildung und Raum. Die Idee des Raumes als dritter Pädagoge, das sehen die Pädagogen, aber nicht diejenigen, die für den Bau zuständig sind. Wir werden oft hinzugerufen, wenn etwas schiefläuft und wir nachträglich noch die Situation retten sollen. Wie zum Beispiel beim Umbau der Heinrich‐Nordhoff Gesamtschule in Wolfsburg. Da sind wir hineingerufen worden, als man gemerkt hat, dass die Beteiligten gar nicht wissen wie Schule geht.
Das Nutzungskonzept für den Innenumbau wurde gemeinsam mit Schülern, Eltern, Pädagogen und den Bauherren erarbeitet. Auf Basis von Collagen wurden die räumlichen Qualitäten erarbeitet und in einem Verhandlungsspiel wurde die Raumzonierung definiert. Die Collage „Die ruhige Liegewiese“ der Schülerin Rebecca Schrader traf sehr gut die gemeinsame Vorstellung „Auf der Wiese sollte man sich wohlfühlen und sich austauschen können. Man sollte sich entspannen können (zwischen den Unterrichtsstunden). Weiterhin sollte es eine Aufenthaltswiese sein,[…]. Durch das hohe Gras kommt ein wenig Geborgenheit auf.“
Man versucht also oft nachträglich die Reißleine zu ziehen.
Susanne Hofmann: Ja. Und das ist aber eigentlich schade, dass man nicht von vornherein ganzheitlich denkt. Es wäre viel einfacher und letztendlich auch günstiger.
Aber es bedeutet mehr Aufwand für die Bauherren?
Susanne Hofmann: Nicht wirklich. Wir wollen nicht der „unbequeme“ Architekt sein. Wir wollen es den Bauherrn so einfach wie möglich machen. Insofern sind wir „bequem“. Wir erledigen unsere „Haus“‐Aufgaben als Architekt. Das heißt, ein Gebäude muss funktionieren, Energiekennzahlen und Budgetrahmen müssen eingehalten werden. Das ist unser Job. Aber wir wollen nicht nur billigen Raum produzieren. Wir wollen dem Bauherrn auch die Möglichkeiten und das Potenzial aufzeigen, das ein Objekt bietet. Wir kämpfen darum. Es kostet uns Zeit, aber anders macht Architektur auch keinen Spaß, wenn man immer wieder dasselbe macht. Es ist mir wichtig, dass es auch für uns immer wieder spannend bleibt.
In Ihren Arbeiten stellen Sie sich als Architektin der Kritik der Nutzenden als Laien, wie zum Beispiel mit der Baupilotenmethode „R6 Entwürfe bewerten“ ([2]S. 111). Damit lassen Sie sich auf die Diskussion ein, mit sogenannten Laien, die ein anderes Architekturverständnis haben.
Susanne Hofmann: Ja, aber diese Diskussionen sind von uns so vorbereitet, dass der Architektur‐Laie auch diskutieren kann. Mittels Plänen kann man nicht gut kommunizieren, weil Laien damit weniger anfangen können.
Es geht dabei um prinzipielle Themen, die wir vorstellen: das Verhältnis von innen nach aussen, Flexibilität oder atmosphärischen Vorstellungswelten. Wir fragen: Ist es so eine Welt oder eine andere Welt? Man muss sich als Architekt klar sein, dass man der Experte für die Raumproduktion und für die Raumgestaltung ist. Das ist unsere Aufgabe und die darf man nicht abgegeben. Aber die Nutzer können Dir sagen, ob sie sich etwas Gemütliches, Warmes oder eher etwas Kühles vorstellen. Dann wissen wir, vielleicht müssen wir andere Materialien nehmen oder es muss eine andere Farbe sein. Nutzer wünschen sich vielleicht mehr Durchblicke. Und das ist durchaus im Rahmen des architektonischen Konzeptes durchzusetzen.
Das heißt, Sie übernehmen die Verantwortung für die Raumproduktion. Davor nehmen Sie aber die Atmosphären und Stimmungen der Nutzenden auf um sie dann in Architektur umzusetzen.
Susanne Hofmann: Ja genau. Wir nehmen die Vorstellungen der Nutzer auf. Dabei machen wir Workshops in allen möglichen Variationen. Je nach Gruppe. Das sieht man auch im Buch „Partizipation macht Architektur“. Es gibt Grundbausteine, die man je nach Gruppe zusammenstellt. Wie zum Beispiel in einem 90 minütigen Collagenworkshop, der Leuten hilft, die Räume, die sie wollen zu beschreiben. Über das Medium der Collage als Kommunikation kommt man als Architekt den Nutzerwünschen auf die Spur.
Energieeffizienz oder Nutzeranforderungen?
Die Hauptmotivation von Sanierungen ist heute eigentlich die Verbesserung der Energieeffizienz. Dabei fehlt zumeist dann das Budget um die Schule auch an geänderte Nutzeranforderungen anzupassen. Gibt es Argumente die Schulgebäudeverwalter überzeugen, weniger Energieeffizienz und Fassade, aber mehr Eingehen auf die pädagogischen Anforderungen und Nutzervorstellungen?
Susanne Hofmann: Es heißt für mich nicht „oder“, sondern „sowohl als auch“. Ich glaube, dass beides zusammen möglich ist. Ich muss ja eine Fassade machen, und da kann ich genauso die Energieeffizienzanforderungen einfügen. Es sollen die Anforderungen des Bauherrn erfüllt werden, also Budget, Energieeffizienz. Das ist unsere Aufgabe. Aber wenn ich weiß, was der Nutzer möchte, welche Vorstellungen er von seinem Raum hat, kann ich sie auch integrativ einbeziehen. Ist ja eine unheimlich große Spielwiese, wie ich eine Fassade entwerfen kann. Ich entwerfe ja nicht isoliert eine Fassade. Die Baupiloten gehen vor dem Fassadenentwurf zum Nutzer, um ein Gespür zu bekommen, welche Bedürfnisse er hat.
Partizipation als neue Planungskultur
Der Stuttgarter Hauptbahnhof zeigte die Notwendigkeit dass neue Beteiligungsverfahren eine Forderung unserer Zeit sind. Aber was war das auslösende Moment zur Entwicklung der Baupiloten Methode?
Susanne Hofmann: Der Trigger war das erste Projekt, die Erika‐Mann Grundschule in Berlin. Der Schulleiterin war wichtig, dass die Kinder bei dem Umbau ihrer Schule mitsprechen dürfen. Wir überlegten, wie es zu schaffen sei. Es war eine multikulturelle Schule – also 25 verschiedenen Nationen. Wir ließen die Kinder zuerst Bilder aus ihrer Heimat zeichnen. Das hat aber nicht funktioniert, weil sie alle ja in Berlin zu Hause sind und Berlin als ihre Heimat tatsächlich gesehen haben. Damit kamen die üblichen Bilder: Fußballplatz, ihr Zimmer…. Uns hat es nicht weitergebracht. So entwickelten wir die Idee, dass wir vielleicht Material mitbringen und die Kinder Collagen machen können. Eine der Fragestellungen waren die Schulflure. Wir konnten nicht fragen, wie sollen die Schulflure schöner werden. Sondern wir stellten die Aufgabe, dass sie den Weg durch den Garten der Zukunft in einer Collage zeigen. Und das hat super geklappt. Es kamen lauter Kunstwerke zusammen. Sie hatten alle tolle Titel und die Kinder erzählten die Geschichten dazu. So haben wir ein Gespür bekommen, was den Kindern wichtig ist. Und wie gut sie sinnlich gut kommunizieren können. Darauf haben wir reagiert und irgendwann ist daraus die Welt des Silberdrachens entstanden.
Bilder sind ein wesentliches Kommunikationselement für die Baupiloten. Wie verstehen Sie Ihre Bilder?
Susanne Hofmann: Die Baupiloten nähern sich mit Bildern als „atmosphärische Vorstellungswelten“ einem Entwurf. Diese können auch ganz stark konzeptionellen Charakter haben und sind keine photorealistische 1:1 Abbildung. Je weiter wir im Entwurf vorangehen, desto konkreter wird die architektonische Vorstellung. Aber am Anfang besteht sie tatsächlich konzeptionell und atmosphärisch.
Finden sich die Nutzer in Ihren Architektenentwürfen wieder?
Susanne Hofmann: Sie entwerfen nicht. Die Collagen und all diese Arbeit macht sie sprachfähig. Das ist das Wichtige dabei. Sie bringen ihr Nutzerwissen und ihr Fachwissen ein. Am Beispiel der Schule sind es die Lehrer, die zusätzlich die entsprechenden pädagogischen Konzepte einbringen.
Langfristige Flexibilität und Nutzungsoffenheit wird immer postuliert – als Beitrag zu nachhaltigem Bauen. Wo sind die Grenzen des Einbezuges von individuellen Nutzeransprüchen und einer übergeordneten vorausschauenden Planung? Wer trifft Entscheidungen, was langfristig „optimiert“ bedeutet?
Susanne Hofmann: Das ist die große Herausforderung. Auf der einen Seite hat man den „Maßanzug“ und auf der anderen Seite die „generic architecture“ Es gibt kein Rezept. Ich möchte weder den Maßanzug noch die „generic architecture“. Sondern ich versuche die Bedürfnisse der Nutzer und auch die Ansprüche des Bauherrn zu verstehen. Wenn sie zum Beispiel eine hohe Flexibilität wollen, dann würde ich nachdenken, wie können Nutzungen sich ändern. Gibt es Nutzungen, die zu spezifisch sind, dann gehen gewisse andere Nutzungen zukünftig nicht. Das muss man aufzeigen.
Wie geht man mit dem Konflikt Bauherrnwünsche versus Lehreranforderungen versus Schülerwünsche um?
Susanne Hofmann: Das habe ich noch nicht festgestellt, dass die Lehrer konträre Vorstellungen an die Schule als Schule haben. Wir arbeiten jetzt mit allen Beteiligten zusammen und bei einem Gymnasium in Hamburg haben wir zum Beispiel auch wieder ein Spiel entwickelt: Was sind individuelle oder offene Räume? Wie kann eine zukunftsweisende Lernlandschaft aussehen? Wir haben extra ein gemischtes Publikum zusammengebracht und die Leute haben miteinander verhandelt. So sind wir zu Entscheidungen gekommen. Ich nehme mich persönlich dabei zurück, die Nutzer müssen untereinander verhandeln: Wieviel Rückzug ist für uns gut, wieviel nicht? Das ist ein total hilfreiches Instrument Entscheidungen herbeizuführen, die nicht von einer bestimmten Gruppe abhängen, sondern die letztendlich ein Konsens sein müssen. Jeremy Till hat es das „bestmögliche“ genannt. „We are not in a perfect world“ ‐ sondern es ist das „bestmögliche“. Und das „bestmögliche“ ist trotzdem oft noch ziemlich klasse. Es ist ein gemeinsames Verhandeln. Aber so unterschiedlich sind die Wunschvorstellungen oft gar nicht.
Abbildung 4: Die Baupilotenmethode
Das Wissen des Nutzers über den Gebrauch und das Erleben von Räumen ist für Architekten eine grundlegende Erkenntnis im architektonischen Entwurfsprozess. Die Planungsmethode der Baupiloten schließt die Teilhabe und Mitwirkung der Nutzenden und anderer Stakeholder in den Entwurf und die Planung von Architektur mit ein. Um mit den Nutzern in einen Dialog treten zu können wird hauptsächlich über und durch die Ermittlung von gewünschten Atmosphären eine Kommunikationsebene geschaffen. Quelle: Die Baupiloten
Welche Botschaft können Sie uns noch auf den Weg mitgeben?
Susanne Hofmann: Wenn man gemeinsam einen Ort schafft, wird man überrascht sein, in wie vielen Dingen vermeintlich konträre Interessen doch übereinstimmen. Oft wird diese Gemeinsamkeit einfach gar nicht gesehen. Wenn man gemeinsam über zukünftige Architektur nachdenkt und entwickelt, werden Bauherr und Nutzer im Nachhinein spüren um wieviel zufriedener sie mit dem Ergebnis sind.
Danke für das Interview!
Weitere Informationen:
- Film „PARTIZIPATION MACHT ARCHITEKTUR“: www.youtube.com/watch?v=LdueUeuJrnA
- Website „DieBaupiloten“: www.baupiloten.com/
Literaturquellen:
- Kullack, Tanja. Architektur. Eine weibliche Profession. Jovis Verlag, Berlin 2011
- Hofmann, Susanne. PARTIZIPATION MACHT ARCHITEKTUR. Jovis Verlag, Berlin 2014.
Autorenbeschreibung
Dipl.-Ing. Sonja Geier ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Senior) an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur, Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) tätig (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
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