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Erneuerbare Energieversorgung von Städten entscheidend für das Gelingen der Energiewende

Von Bernd Vogl

Zuerst war Erneuerbar am Land schick!

Ich erinnere mich noch gut an unsere fast kindliche Freude Ende der 80er Jahre über erneuerbar versorgte kleine Gebäude mitten im Grünen. Einfamilienhäuser mit einer Wärmedämmung von 10 cm, ein zentraler Kachelofen und eine selbst gebaute thermische Solaranlage haben CO2-freies Wohnen schon vor 30 Jahren ermöglicht. Mittlerweile gibt es viele neue Technologien, wie effiziente Wärmepumpen, günstige Photovoltaik-Anlagen und supereffiziente Gebäudehüllen. Ein gutes Einfamilienhaus am Land inklusive Elektroauto kann heute bilanziell die komplette Versorgung mit erneuerbarer Energie schaffen. Es ist heute nicht mehr außergewöhnlich, solare Technologien zu verwenden oder in Effizienz zu investieren.

Die Herausforderung liegt in der Stadt

Das allein kann allerdings nicht die Energiewende –den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien – bringen, immerhin leben mehr als 50 % der Weltbevölkerung in Städten und bis 2050 soll dieser Anteil sogar auf 70 % ansteigen. In Städten werden derzeit durch die Verbrennung fossiler Energien derzeit mehr als 70 % der weltweiten CO2-Emissionen1 verursacht. Städte spielen aus diesem Grund eine Schlüsselrolle bei der Energiewende.
Einerseits bieten dichte Siedlungsformen im Vergleich zu Gebäuden in Insellage den Vorteil weniger Energie für Mobilität und Heizung zu benötigen, gleichzeitig ist die Gewinnung erneuerbarer Energien in urbanen Strukturen deutlich schwieriger. Wir brauchen also Lösungen für den städtischen Raum in Verbindung mit den ländlichen Gebieten, wo viel Fläche vorhanden ist und daher die Gewinnung erneuerbarer Energie leichter ist. Welche Herausforderungen leiten sich daraus für Städte ab und welche Arbeitsfelder ergeben sich für eine städtische Energieabteilung wie z. B. jene in Wien?

1 Ricky Burdett, Deyan Sudjic (Hrsg): Living in the endless City. The Urban Age Project, New York 2011, Seite 17

Das erneuerbare Energiesystem und die städtischen Herausforderungen

Zwei Lebensbereiche benötigen besonders viel Energie (in Städten rund 80 %):  Da ist einerseits der Wärmebedarf unserer Gebäude für Heizung und Warmwasser und andererseits der Bereich Mobilität in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Diese Bereiche können durch Energie- und Stadtplanung besonders gut beeinflusst werden. Wir müssen dazu zuerst ein Bild des zukünftigen Energiesystems entwerfen, das zu 100 % aus erneuerbarer Energiequellen gespeist wird und das die vielfältigen interessen der BürgerInnen möglichst gut integriert. Es gibt Wünsche, die mit Selbstversorgung, Selbstbestimmung und damit auch vielfältiger Nutzung zu tun haben. Stadt muss, will sie diesen Entwicklungen gerecht werden, völlig anders gedacht werden. Der Stadtteil der Zukunft wird – wie alte Städte – als mehrdimensionaler lebendiger Raum mit Identität und Selbstversorgungsstrukturen geplant und errichtet. Energie ist dabei eines der Leitthemen.

Wie können wir unseren Stadtraum gestalten, um möglichst viel Energie direkt vor Ort zu erzeugen? Wie können wir Energie speichern und damit unsere Unabhängigkeit weiter erhöhen? Wie können die Ressourcenströme in und aus dem neuen Stadtteil auf ein Minimum reduziert werden? Wie können wir maximal effizient sein? Dies führt unds zu einer der Kernfragen der Energiewende:

Foto: Magistratsabteilung 20, Wien (Steven Duchon)

Was bedeutet das für den Energiesektor und die großen Energieverbraucher in der Stadt der Zukunft?

Neun Thesen für die zukünftigen Herausforderungen und Lösungsansätze im städtischen Raum verdeutlichen die notwendigen Handlungsfelder:

HERAUSFORDERUNG STADT 1

Der komplette Umstieg auf erneuerbare Energie in städtischen Energiesystemen verlangt höchste Effizienz und den höchsten Innovationsgrad, um die Energiewende zu ermöglichen. 

KOOPERATION STADT UND LAND 2

Während früher das Holz für die Stadt im Umland produziert wurde, ist es heute in erster Linie Strom aus Wind- und Photovoltaikanlagen, der aus dem Umland in die Stadt fließt. Wir brauchen neue Modelle der Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land.

ANPASSUNG 3

Städte müssen sich optimal an die schwankende Produktion aus erneuerbaren Energien – allen voran Wind- und Photovoltaikstrom – anpassen. Dazu werden  verschiedenen Technologien  intelligent kombiniert und vernetzt. Der Bedarf an flexiblen Stromerzeugern wird steigen, fossile Grundlastkraftwerke sind in Zukunft nicht mehr notwendig.

WENIGER IST MEHR 4

Für die Energiewende brauchen wir lebenswerte Städte, deren Gebäude mit sehr geringen Energiemengen betrieben werden können und die so organisiert sind, dass Wege mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden können.

SOLARE STÄDTE 5

An der Sonne orientierte Architektur und die möglichst verbrauchsnahe Produktion erneuerbarer Energie ist besonders vorteilhaft. Solare Energieformen wie Photovoltaik, Solarwärme und Umgebungswärme mit geringem Energietransport-Aufwand und ohne Vorort-Emissionen sind besonders stadttauglich. Systeme wie z. B. Erdspeicher, Betonkernaktivierung oder Batterien kompensieren Schwankungen im Aufkommen solarer Energien. 

KERNFRAGE SPEICHERUNG 6

Speicher werden integrativer Bestandteil der städtischen Energiesysteme. Die Baumassen der Gebäude, das Erdreich und das große Fernwärmesystem in der Stadt bieten ideale Voraussetzungen dazu.

BESTEHENDE INFTRASTRUKTUR 7

Technologien, die bestehende Infrastrukturen nutzen, werden leichter in den Markt kommen und das zukünftige Energiesystem prägen. Photovoltaik ist das Beispiel im Heute, Wasserstoff im Gasnetz und „Power to Gas“2 können die Beispiele  von morgen werden. Die Abschätzung dieser Entwicklung ist von besonderer Bedeutung für das städtische Energiesystem.

2 Überschussstrom aus Wind und PV-Anlagen wird zuerst mit Hilfe der Elektrolyse zu Wasserstoff. Dann wird aus Wasserstoff und CO2 synthetisches Gas mit den gleichen Eigenschaften wie Erdgas erzeugt.

INNOVATIONSMOTOR 8

Städte beherbergen die großen Bildungseinrichtungen und verfügen über eine lebendige, vielfältige Struktur an Akteuren. Wir brauchen viele unterschiedliche Disziplinen für Innovationen und den bevorstehenden Wandel.

ERFOLG 9

Die Energiewende ist ein riesiger Zukunftsmarkt. Städte, die frühzeitig eine konsequente Nutzung erneuerbarer Energien bei höchster Effizienz und Innovation umsetzen, profitieren und sind weniger anfällig auf Krisen, da die Verfügbarkeit von Energie und Ressourcen die wirtschaftlichen Strukturen und Möglichkeiten einer Gesellschaft bestimmen. Erneuerbare Energie ist regional und sicher verfügbar.

Stadt neu denken

Um die hochgesteckten Ziele zu erreichen, sind vielfältige Anpassungen in den städtischen Systemen notwendig. Energie muss ein ständiger Begleiter in allen Prozessen in der Stadt werden und der Rahmen für alle Akteure entsprechend gesetzt werden. Hier spielt die Abstimmung von Stadtplanung und Energieplanung eine entscheidende Rolle. Es braucht neue Ansätze und bereichsübergreifendes Denken in Wirtschaft und Verwaltung. Kooperationen über Bundesländergrenzen hinweg werden dabei zum Erfolgsfaktor.

Autor

Mag. Bernd Vogl leitet die Abteilung für Energieplanung der Stadt Wien. Hauptaufgaben liegen in der Entwicklung einer Energierahmenstrategie und des Nachfolgeprogramms zum städtischen Energieeffizienzprogramm sowie dem Renewable Action Plan Vienna. Der Aufbau einer integrierten Energieraumplanung sowie die Betreuung der Förderprogramme in den Bereichen Erneuerbare und Energieeffizienz sind weitere Schwerpunkte der Abteilung.

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