Gebäudesanierung im Wandel: vom Prototypen zu seriellen Lösungen
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die bebaute Fläche weltweit um erstaunliche 65 Prozent zugenommen und wird voraussichtlich im Jahr 2020 fast 245 Milliarden Quadratmeter erreichen. Gleichzeitig ist der durchschnittliche Energieverbrauch pro Quadratmeter nur um etwa 25 Prozent gesunken, was darauf hindeutet, dass die Fortschritte bei der Sanierung und Energieeffizienz das Wachstum der Nutzfläche nur teilweise ausgeglichen haben.
Der Gebäudesektor bleibt daher nach wie vor von entscheidender Bedeutung, um die Klimaziele zu erreichen. In den Jahren von 2005 bis 2014 gab es im Gebäudesektor durchaus Erfolge mit einer Reduktion von Treibhausgasemissionen um 40 Prozent1. Seitdem stagnieren diese Fortschritte jedoch. Gemäß den Zielen der EU-Initiative "Fit-for-55" müssen bis 2030 jedoch drastische Emissionsreduktionen erreicht werden, um die Halbierung zu schaffen2.
Noch immer stehen Architekt*innen, Ingenieur*- innen, Bauunternehmer*innen, Gebäudeeigentümer* innnen und Hausverwaltungen vor der Herausforderung, für jedes Sanierungsprojekt individuelle Lösungen entwickeln zu müssen. Jede Gebäudesanierung wird somit zu einem Prototyp und viel Potenzial für Optimierungen bleibt ungenutzt.
Die herkömmliche Sanierungspraxis
- Arbeiten für übliche Sanierungsprozesse und Techniken sind sehr zeitintensiv und erfordern monatelange Arbeiten vor Ort bzw. sogar zwischenzeitliche Aussiedelungen der Bewohner:innen.
- Risiko in Bezug auf Umsetzungsqualität und Energieeinsparung für die Eigentümer:innen
- Bei jedem Projekt wird eine neue Lieferkette aufgebaut
- Ein erheblicher Anteil der Sanierungsarbeit entfällt auf Nacharbeiten von Fehlern, was Zeit und Geld kostet; etwa 14 Prozent des Umsatzes werden für die Behebung von Fehlern aufgewendet
- Die Produktivitätszeiten liegen oft unter 50 Prozent
- Baueinreichungsverfahren sind langwierig und müssen aufgrund fehlender Standardisierung umfassend von den Behörden geprüft werden
Serielle Sanierungslösungen / Out-of-the-box Systemlösungskonzepte
- Statt Prototypen anzufertigen, wird auf Standardisierung gesetzt
- Komplexität soll durch den Verzicht auf Sonderlösungen reduziert werden
- Vereinfachte Behördenverfahren durch „Bautypengenehmigung“
- Garantien für energetische Performance und Behaglichkeit können ein wichtiger Schritt in Richtung Warmmiete sein, um das Investoren-Nutzer*innen- Dilemma zu lösen
- Pilotprojekte zeigen, dass hochwertige Sanierungen schnell und ohne große Störungen der Bewohner*innen umgesetzt werden können
- Fehler können durch den Einsatz von BIM (Building Information Modeling), minimiert werden
Ansätze aus Forschung und Entwicklung für standardisierte Sanierungen
AEE INTEC hat sich über viele Jahre hinweg gemeinsam mit Partner*innen intensiv an der Entwicklung von Technologien zur seriellen Sanierung und der Integration von Sanierungskomponenten beteiligt. Zuerst wurden in Monitoring-Projekten mit den ersten seriellen Sanierungen wie der Mittelschule Schwanenstadt oder einem Wohnbau in der Makartstraße in Linz sowie am Dieselweg Graz Erfahrungen in Österreich gesammelt. Dann folgten vor etwa 15 Jahren erste internationale Austauschprojekte wie IEA ECBCS Annex 50 „Vorgefertigte Systeme zur Sanierung von Wohngebäuden“ und das nationale Haus der Zukunft-Leitprojekt e80^3. Projekte wie SaLüH!, MultiTAB, HVAC via Facade, EXCESS, Inspire wurden dann ausgehend von niedrigen TRL-Stufen3 begleitet und haben in diesem Bereich in den letzten Jahren wichtige Fortschritte erzielt und marktreife Produkte in Nischenmärkten hervorgebracht.
Im Projekt Salüh - Gebäudetechnische Lösungen für die Sanierung von kleinen Wohnungen, geleitet von der Universität Innsbruck, wurden standardisierte Konzepte der gebäudetechnischen Sanierung als Systemlösungsansätze erarbeitet, die von Wohnbaugesellschaften, Herstellern von Lüftungs- und Heizsystemen sowie Planungsbüros genutzt werden können4. Diese aufeinander abgestimmten Konzepte umfassen Wärmedämmung, Fenster, eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie Heizung und Trinkwarmwasseraufbereitung durch Kleinstwärmepumpen. Sie sind kostengünstig, einfach zu installieren und können schrittweise Wohnung für Wohnung umgesetzt werden, wobei die Bewohner*innen möglichst wenig beeinträchtigt werden.
Projekte wie MultiTAB, EXCESS, CEPA haben die Beheizung von Bestandsgebäuden durch Bauteilaktivierung von außen durch die Aktivierung massiver Bestandswände vorangebracht. Ein Vorteil der aktiven Energiefassade, wie sie derzeit am TAGGER-Areal in Graz demonstriert wird, ist die Nutzung von Gebäude und Wänden als thermischer Speicher. Durch die Bauteilaktivierung wird es möglich, fluktuierenden Wind- oder Solarstrom genau dann in Wärmepumpen zu nutzen, wenn er in großen Mengen verfügbar ist. Die maximale Speicherkapazität des Gebäudes durch diese Art von Bauteilaktivierung kann im Vergleich zu ähnlichen Gebäuden mit Radiatorheizungen durch Nutzung der thermischen Masse der Außenwände bis zum zehnfachen gesteigert werden. Dafür hat AEE INTEC mit TOWERN3000 die CEPA-Fassadentechnologie als eine Sanierungs-Komplettlösung für Dämmen, Heizen und Kühlen auf den Markt gebracht und patentiert.
Kann Wärmeenergie direkt von der Fassade in den Raum geholt werden, etwa über eine in die Fassade integrierte Kleinstwärmepumpe? Im Projekt HVAC VIA FACADE wurden in die bestehende Brüstung bzw. in eine vorgehängte Holzleichtbau-Fassade modulare Split-Wärmepumpen integriert. Sie wurden für eine dezentrale Wärmeversorgung mit sehr kompakten und leisen fassadenintegrierten Außeneinheiten für Heizung und Trinkwarmwasserversorgung und optional Kühlung in Verbindung mit PV bis zum Prototyp entwickelt. In einem weiteren Schritt wurden vorgefertigte Fassadenelemente, die die gesamte Gebäudetechnik, das heißt PV, Heizung, Lüftung sowie Ver- und Entsorgungsstränge beinhalten, entwickelt. Der wesentliche Vorteil ist, dass für die Zentralisierung der Energieversorgung im Zuge der Sanierung nicht aufgestemmt werden muss und die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wohnungen während der Sanierung nicht verlassen müssen. Aber auch schallabsorbierende Fassaden und Oberflächen können eingesetzt werden, um schallharte Oberflächen im städtischen Raum zu reduzieren und damit zusammen mit dem künftigen elektrischen Verkehr die Schallbelastung generell zu vermindern.
Die Fassade als Energiespeicher – patentierte Energiefassade CEPA. Foto: TOWERN3000
Das Leitprojekt e80^3 hat gezeigt, dass es mit multiplizierbarer, hochwertiger Gebäudehülle möglich ist, über die Jahresbilanz Plus-Energie-Standard bei Sanierungen bis zu vier Geschoßen zu erreichen. Die Zutaten: Außenhülle mit Passivhauskomponenten, gleichzeitige Integration von energieerzeugenden Aktivelementen wie thermischen Solarkollektoren und PV sowie eine intelligente Steuerung und Netzinteraktion mit bestehenden Wärme- und Stromnetzen. Mit der seriellen Sanierung der Wohnhausanlage “Johann-Böhm-Straße 34/36“ in Kapfenberg wurde erstmals in Österreich ein bestehendes Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren in ein nahezu Plus-Energie-Gebäude verwandelt (Anm. siehe auch den Artikel „Pioniere der Fassadensanierung mit Fertigteilen“). In den Projekten SüdSan und smarteVeranda sollen einige der oben angesprochen Technologielösungen auf Quartiersebene in Siedlungen mit insgesamt ca. 500 Wohneinheiten etappenweise umgesetzt werden.
Ausblick: Standardisierung, Digitalisierung und Finanzierbarkeit
Ein wesentliches Hemmnis bei der Umsetzung von seriellen Sanierungen bleibt trotz einer Vielzahl an bereits etablierten technischen Lösungen und neuen marktnahen Entwicklungen derzeit die Finanzierbarkeit der Maßnahmen bei vertretbaren Mieterhöhungen für die Bewohner*innen, vor allem im Sozialen Wohnbau. Auch scheitern viele Sanierungen trotz hoher Förderungen an hohen Zinsen und Baukosten, bestehenden Mietverträgen, die nur in geringem Ausmaß eine Erhöhung der Mietkosten durch die erzielten Energieeinsparungen und den verbesserten thermischen Komfort zulassen (Investoren-Nutzer*innen-Dilemma). Dadurch rücken umfassende Sanierungskonzepte oft in weite Ferne.
Mit dem Leitprojekt RENVELOPE der Vorzeigeregion Energie soll nun gemeinsam mit Industriepartnern wie Rhomberg, Nussmüller Architekten und Towern3000 ein entscheidender Schritt zur Markteinführung und Finanzierbarkeit serieller Sanierungslösungen gesetzt werden. Im Zuge dieses Projektes werden drei Gebäude mit einer kosteneffizienten seriellen Komplettlösung, in Form einer vorgefertigten Außenhülle mit integrierter Gebäudetechnik modernisiert. Dies stellt einen Paradigmenwechsel gegenüber dem traditionellen Ansatz dar, bei dem die Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen im Inneren des Gebäudes untergebracht wurden. Drei großvolumige Gebäude werden dabei in Österreich mit diesem System seriell saniert: ein mehrgeschoßiges Wohngebäude der Sozialbau AG in Wien, die Landesberufsschule in Knittelfeld und ein Bürogebäude. Mit den drei Demonstratoren soll gezeigt werden, dass aus einer Vielzahl an prototypischen Einzellösungen ein Gesamtsystem für die CO2-neutrale Gebäudesanierung mit vorgefertigten innovativen Fassaden- und Dachelementen kosten- und zeiteffektiv umgesetzt werden kann. Die Zeitersparnis in der Umsetzung soll dabei zwischen 50 – 70 Prozent liegen und die Reduktion des Energiebedarfs bei bis zu 80 Prozent. Gelingt es durch Digitalisierung, Standardisierung und Vorfertigung sowie Kosteneinsparung durch multifunktionale Bauteile wirtschaftlich tragbare Konzepte für die Sanierung von Mehrfamilienhäusern zu etablieren, so können diese in einem nächsten Schritt auf größere Gebäudeportfolios skaliert werden.
Kommentar
"Die serielle Sanierung wird eines der Erfolgsrezepte, um die in der EU-Taxonomieverordnung ausgearbeiteten, ambitionierten ESG-Kriterien zu erfüllen. Mit digitalen Tools sowie industriell vorgefertigten Fassaden aus Holz dekarbonisieren wir schon heute in Rekordzeit ganze Häuserriegel – kostengünstig, hochwertig und ressourcenschonend."
Hubert Rhomberg, CEO Rhomberg Gruppe. Foto: Stefan Joham
Literatur
- Quelle: IEA Tracking Report – Buildings; C. Delmastro; 2022
- Fit for 55 package under the European Green Deal. Europäisches Parlament, abgerufen am 24. Juli 2021
- Der Technology Readiness Level (TRL), auf Deutsch als Technologie-Reifegrad übersetzt, ist eine Skala zur Bewertung des Entwicklungsstandes von neuen Technologien
- https://nachhaltigwirtschaften.at/de/sdz/projekte/salueh-sanierung-von-mehrfamilienhaeusern-mit-kleinen-wohnungen-kostenguenstige-technische-loesungsansaetze-fuer-lueftung-heizung-und-warmwasser.php
Autoren
Dipl.-Ing. Dr. Tobias Weiss ist Leiter des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dipl.-Ing. Armin Knotzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!